Am Tropf des Herstellers – was neue Incentive-Modelle wirklich bedeuteten

Microsoft wandelt Partnerschaft in Steuerung: Aus Marge wird Bonus, aus Freiheit Gefolgschaft. Wer Copilot und Defender verkauft, profitiert – wer Vielfalt wagt, verliert. Wachstum gibt’s nur noch nach Herstellervorgabe. Ein System, das Abhängigkeit als Erfolg tarnt.

Am Tropf des Herstellers – was neue Incentive-Modelle wirklich bedeuteten

Microsoft hat zum neuen Fiskaljahr 2026 (FY26) sein Partner-Universum tiefgreifend umgebaut. Das Ganze mit zwei nüchtern betitelten Newslettern:
„October updates for CSP indirect resellers: Part 1“ und „Part 2“.

Was dort auf den ersten Blick wie ein Routine-Update aussieht, ist in Wahrheit eine Generalüberholung der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Hersteller und Partnern.
Teil 1 regelt, was nach Vertragsende passiert. Also wie Microsoft Einnahmen selbst dann noch verlängert, wenn der Kunde eigentlich kündigt.
Teil 2 definiert, wie während der Laufzeit gezahlt wird und welche Partner künftig überhaupt noch an Incentives teilnehmen dürfen.

Zusammen ergeben sie ein System, das Marge, Cashflow und Kundentreue vollständig in die Hände des Herstellers legt.
Oder anders gesagt: Microsoft perfektioniert weiterhin die Kunst, Abhängigkeit als Wachstum zu verkaufen.


1. Strategische Stoßrichtung: Vom Partnernetzwerk zur Franchise-Vertriebsorganisation

Microsoft führt seit FY24 konsequent den Wandel von „Kooperation“ zu „Konzernvertrieb mit Franchise-Struktur“. Dieser Newsletter zementiert das.

Zentraler KPI ist das Wachstum im Microsoft-Portfolio. Nicht Kundenzufriedenheit, Projekterfolg oder Servicequalität.
Taktung als weiterer Regler mit quartalsweise Nachjustierung, um Partneraktivitäten lückenlos zu messen.
Und eine Incentive-Drift: Alte Umsätze werden nachträglich (!) mit neuen Regeln neu berechnet – das signalisiert totale Abhängigkeit.
Kurz gesagt: Microsoft nutzt die Partnervergütung als Hebel der Disziplinierung.
Die „Rekalibrierung“ von Juli–September 2025 ist ein Warnsignal:
Wer nicht die neuen „strategic products“ vertreibt, verliert rückwirkend Marge.

Wer als Microsoft-Partner in den kommenden Monaten Geld verdienen will, muss verstehen, wie Microsoft die Partnerlandschaft inzwischen steuert.
Denn eines ist klar: Das Incentive-System ist längst kein Bonusprogramm mehr. Es ist ein ökonomischer Kompass, der vorgibt, in welche Richtung Partner ihre Energie, ihre Zertifizierungen und ihre Ressourcen lenken sollen.
Die Umbenennung der Zertifizierungen zu „Partner Designations“ versteckt die Ausrichtung nicht einmal mehr. Man steht offen zum Zweck.
Genau wie Peter Thiels Palantir: Der Name ist Programm.

2. Der neue Lebenszyklus: Kündigen verboten, verlängern erwünscht

Ab April 2026 verschwindet die kostenlose „Grace Period“ nach Vertragsende.
Was früher eine kurze, kulante Übergangszeit war, wird jetzt zur kostenpflichtigen Verlängerung mit Aufschlag.

Wer die automatische Verlängerung deaktiviert, rutscht künftig automatisch in den Extended Service Term (EST).
Das bedeutet, der Kunde behält Zugang, zahlt aber den monatlichen Preis + 3 % Uplift oder + 23 %, falls kein monatlicher Plan existiert. Klingt nach Abo-Falle für das früher bekannte Jamba!-Spar-Abo.

Kurz: Statt „Service endet“ gilt jetzt „Service läuft weiter – aber teurer“.

Microsoft nennt das Flexibilität. Aber ehrlich, wir reden hier nicht von Privat-Abos bei denen der Kunde gerne mal eine Verlängerung vergisst, sondern wir reden über Firmenkunden, die 5-6 stellige Summen für Lizenz-Compliance ausgeben müssen.
In Wirklichkeit ist es ein Monetarisierungs-Mechanismus nach dem Modell der stillen Verlängerung, bei dem jeder vergessene Haken zum Umsatz wird.

Die Einführung ist minutiös getaktet. Im November 2025: Sandbox-Tests für neue Renewal-Optionen. Ab Januar Jan 19 2026: Live-Schaltung in allen Partner-Dashboards. Die SKU-Verfügbarkeit in Preislisten dann ab Februar 2026. Und im April 2026 ersetzt der EST dann endgültig die Grace Period.

Auch hier ist das Muster klar: Kündigung wird administrativ mühsamer, unbeabsichtigtes Weiterlaufen zum Standard.


3. Kontrolle bis ins Formular: Partner of Record und Compliance-Checks

Zeitgleich verschärft Microsoft zum Dezember 2025 die Regeln für den Partner of Record (POR). Nur noch aktive, auditierte und compliant registrierte Reseller dürfen neuen Abos zugeordnet werden. Selbst kleine Änderungen wie Seat-Anpassung, Laufzeit, Billing-Plan lösen künftig eine automatische Compliance-Validierung aus.

Das klingt nach Qualitätsmanagement, ist aber in der Praxis eine algorithmische Gatekeeping-Schicht. Wer einmal durchfällt, verliert Transaktionsrecht und Incentive-Zugang. Das reiht sich nahtlos in die Strategie ein die wir gerade erleben. Viele langjährige loyale Microsoft-Partner verlieren ihren Transaktionsstatus über die gesamte Bandbreite. Große CSP Directs die im zweistellingen Millionenbereich transaktionieren bis zu kleinen Systempartnern, die 4 stellige Umsätze haben. Das kommt das Wort "Partner" nur mühsam und mit einem bitteren Nachgeschmack aus dem Mund. Ab diese Unternehmen etwas daraus lernen?


4. Der zweite Schlag: Incentives als Disziplinierungs-Werkzeug

Mit Part 2 folgt dann der ökonomische Unterbau des neuen Systems.
Microsoft nennt es die „drei Hebel“. Core Rates, Accelerator, Growth Lever. Klingt nach Business-Strategie, ist aber ein präzises Steuerungsinstrument, ist aber faktisch eine Filtermechanik: Nur wer das Portfolio verkauft, das Microsoft strategisch priorisiert, bleibt profitabel. Wer z. B. lieber Open-Source-basierte Lösungen integriert oder hybride Szenarien baut, fällt durchs Raster.

Die Core Rate: Das Grundrauschen. Zwei bis drei Prozent. Genug, um Partner in Bewegung und Hoffnung zu halten, nicht genug, um davon zu leben.

Der Accelerator: Der Zucker für Gefolgschaft. Wer Copilot, Defender, Purview, E3/E5 oder Business Premium, daraus die sogenannten Hero-SKUs, verkauft, kann bis zu 30 % Bonus erhalten. Natürlich nur sofern alle Zertifizierungen (Designations) aktuell sind und die Kunden sauber im MCI-Portal gemeldet wurden.

Der Growth Lever: Das Karussell der Neukunden. Nur wer neue Seats oder Workloads aktiviert, also wer im strategischen Sinne evangelisiert, bekommt den Wachstumsbonus. Servicequalität oder nachhaltige Kundenbeziehungen spielen in diesem Modell keine Rolle mehr.

Im Januar 2026 folgt die Pointe:

„Mid-January: July – September 2025 earnings are recalculated using FY26 core, strategic product accelerator, and growth levers.“

Rückwirkende Neubewertung, einseitig, ohne Widerspruch. Partner planen ihre Budgets. Microsoft ändert nachträglich die Regeln.

Das ist kein Buchungsfehler, sondern System:
Budgethoheit durch Unvorhersehbarkeit. Leben auf Kredit des Herstellers.


5. Die Sprache der Macht, Rhetorik als Nebelwand

Wer den Newsletter liest, stößt auf altvertraute Floskeln:
„growth definition“, „eligibility requirements“, „compliance readiness“, „levers for success“. Jedes Wort klingt positiv, jedes Satzende verheißt Chancen. Einmal durch CoPilot gejagt um Optimismus und Professionalität zu versprühen.

Oder "“Strategic product accelerator”, “Growth lever”, “Partner eligibility requirements”,“Stay ahead of compliance requirements”.

Das Vokabular entstammt der Welt von sogenannten Management-Consultants, nicht von Partnern oder Technikern. Ziel ist kognitive Überforderung bei gleichzeitiger scheinbarer Transparenz. Viele Partner glauben, sie könnten noch „mitspielen“, während das Spielfeld längst neu gezeichnet ist.
Und doch beschreiben die Worte alle nur eines: totale Durchleuchtung des Kanals.

Die Botschaft zwischen den Zeilen:

„Mach, was wir wollen. Dann darfst du auch mitspielen.“

Zitat aus dem offiziellen CSP-Newsletter


Zur Einordnung lohnt sich ein Blick in den Originaltext, den Microsoft Ende Oktober an alle CSP-Partner verschickt hat:

“Between July 1 and September 30, we calculated the CSP incentives against the FY25 core, strategic product accelerator, and customer add levers.
Effective October 1, we began calculating against the new FY26 core, strategic product accelerator, and growth levers.
...
Mid-January: July – September 2025 earnings are recalculated using FY26 core, strategic product accelerator, and growth levers, while maintaining FY25 partner eligibility.”

(Microsoft CSP Partner Communication, October 2025 s.u.)
Ein Satz wie dieser sagt mehr als jede PowerPoint-Folie:
Microsoft reserviert sich die Möglichkeit, Partnerumsätze nachträglich und einseitig an neue Regeln anzupassen. Das ist kein Versehen. Es ist System.


6. Strategische Parallele: Broadcom → VMware → Microsoft

Was Broadcom mit VMware getan hat, zeigt, wohin die Reise geht.
Broadcom hat das Regelwerk der Softwareökonomie mit chirurgischer Präzision umgeschrieben. Rücksichtslos effizient, juristisch sauber, wirtschaftlich eiskalt. Microsoft setzt es im Partnerprogramm um.

Und Microsoft spielt nach denselben Prinzipien – bloß charmanter, in PowerPoint statt mit Holzhammer:

Broadcom-Taktik Microsoft-Variante
Remove choice – Bundles statt Einzelprodukte. M365, E5, Business Premium – wer Mail will, kauft gleich AI & Security mit.
Change the metric – von CPU auf Core. Von Seat auf „Active Workload“ – Bezahlung nach Feature-Nutzung.
End perpetual, force subscription. CSP = Dauermiete – „Own nothing, pay forever“.
Weaponize support. Ohne Designation kein Support, keine Payouts.
Control the channel. Zentralisierte Payouts, Standardrabatte, API-Kontrolle.
Move fast, execute together. Quartals-Audits, Nachkalkulation, neue Zert-Logik – kein Atemzug mehr.
Hate the Game but carefully respect the Player.
Microsoft spielt dasselbe Spiel wie Broadcom – nur mit PowerPoint-Charme statt Brechstange.

7. Die ökonomische Realität für Partner

Früher bedeutete Partnerschaft Unternehmertum. Heute bedeutet sie Vertrags-Konformität.

Die klassische Marge existiert nicht mehr. Was bleibt, sind variable Boni, Promotions und temporäre Nachlässe, die von Quartal zu Quartal neu bewertet werden. Fast vergleichbar mit einem Gehaltsmodell. Nur ohne Fixum. Und der Bonus hängt vollständig davon ab, wie strikt man Microsofts Vorgaben erfüllt. Microsoft ersetzt klassische Partnerprofitabilität durch eine künstliche Incentiveökonomie, die sich jährlich neu definiert.

Kurzfristig lässt sich damit Geld verdienen. Vor allem mit Copilot- und Defender-Bundles. A.I. und Cybersecurity sind das Zukunftsthema.
Langfristig entsteht hier jedoch ein ungesunder Abhängigkeitskreislauf:
Je höher der Bonus, desto enger die Leine. Umso geringer die Motivation Produkte anderer Hersteller auch nur in Erwägung zu ziehen. Die Vendor-Neutralität des Beratungshauses gerät ins Wanken wenn man mehr Zeit über die Incentive-Optimierung bei einem Hersteller grübelt als über weitere technologische Lösung am Markt. Vielfalt und Wahlfreiheit schwinden.

Selbst Service-Modelle wie MSPs geraten unter Druck:
Wer keine eigenen Mehrwerte schafft, wird zur Durchreiche. Zum "Lizenzschubser" im Franchisesystem.


8. Der Schein der Unterstützung

Microsoft flankiert diese Umstellung mit einer Flut an Trainings, Bootcamps und Webinaren: „Level Up CSP Training“, „Dragon Copilot Bootcamp“, „Partner Q&A Calls“. Offiziell zur Befähigung gedacht, dienen sie faktisch als Behavioral Sync. Der ständige Reminder, was „strategisch relevant“ ist.

Die neuen „Sales Deal Execution Playbooks“ und „Compliance Readiness Trainings“ sind in Wahrheit Instrumente der Auditierbarkeit.
Microsoft will sicherstellen, dass Partner bei jedem Deal so verkaufen, dass die eigene Marge maximiert und Risiken minimiert werden. Auch rechtlich. Wer trägt das komplette kaufmännische Risiko? Das hat nichts mit Unterstützung zu tun, sondern mit Verhaltenssteuerung.

Selbst Marketing-Materialien müssen inzwischen an Microsoft-Vorgaben angepasst werden, von Naming-Conventions bis Pitch-Deck-Design.
So entsteht ein geschlossenes Ökosystem, das aussieht wie ein Partnernetz, in Wahrheit aber ein zentral gesteuertes Vertriebs-Franchise ist.


9. Zwischen Linie und Leine

Natürlich: Wer das System versteht, kann richtig profitieren. Mehr sogar als früher. Kurzfristige Incentives lassen sich mitnehmen, Rabatte aktiv vermarkten, Upsells optimieren.

Aber jedes klingende Incentive, jede Promotion, jedes Bonusprogramm hat eine zweite wesentlich finsterere Seite. Jeder Prozentpunkt Bonus ist ein Prozent weniger Freiheit. Und wir sehen die Endlichkeit.

Du erhältst kurzfristig etwas Liquidität. Aber du verlierst langfristig Deine Autonomie.

Microsoft hat aus seinem Partnernetzwerk eine Vertriebsökonomie der Gefolgschaft gemacht, brillant, legal, effizient. Und genau darin liegt das Risiko.

Denn wer 90 % seines Umsatzes aus einem System bezieht, dessen Parameter Redmond quartalsweise neu schreibt, arbeitet nicht mehr mit einem Hersteller.
Er arbeitet für ihn. Egal ob Angestellter oder Inhaber, der wahre Arbeitgeber sitzt woanders.


10. Was jetzt klug ist

Diese Mechanik zu ignorieren, wäre naiv, sie zu verteufeln, absolut sinnlos.
Die einzige sinnvolle Reaktion ist, sie zu verstehen und bewusst zu spielen.

Nimm die Promotions mit, wo sie Sinn ergeben, also Stand heute Copilot, Defender, Purview, Business Premium. Hier lässt sich kurzfristig Herstellergeld gewinnen.

Plane konservativ. Rückwirkende Nachberechnungen können Payouts verschieben oder verringern und sind auf jeden Fall ein massives kaufmännisches Risiko.

Bleib prüfbar, aber nicht manipulierbar. Compliance einhalten, aber nicht blind ausführen.

Diversifiziere. Beratung, Security-Integration, Open-Source-basierte Cloud-Modelle oder souveräne Hoster sind kein Risiko, sie sind Deine Versicherung und Zukunft.

Budgetiere Incentives nie fest ein. Das weder ein belastbares noch ein seriöses Geschäftsmodell.

Entwickle dein eigenes MSP-Modell. Ein stabiles, herstellerunabhängiges Fundament. Reine „Lizenzschubser“ ohne eigenes Intellectual Property haben keine Zukunft.

Denn digitale Souveränität beginnt nicht in Ministerien, sondern in Geschäftsmodellen. Sie beginnt dort, wo Partner erkennen, wann Partnerschaft aufhört und ungesunde Abhängigkeiten beginnen.


Vielleicht ist das der Moment, in dem wir lernen müssen, die Regeln des Spiels zu verstehen ohne uns zum Spielfigur machen zu lassen.
Und bleib unabhängig genug, um im Zweifel einfach vom Brett zu gehen.

Quellen

Microsoft CSP Partner Communications, October 2025

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