Kein Triumph. Sondern ein Fanal.

Der Internationale Strafgerichtshof trennt sich von Microsoft. Kein Grund zur Schadenfreude, sondern ein Weckruf: Europas digitale Souveränität ist überfällig. OpenDesk zeigt, dass Unabhängigkeit möglich ist.Wenn wir sie politisch wollen, nicht nur technisch könnten.

Kein Triumph. Sondern ein Fanal.

Warum die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Microsoft kein Grund für Schadenfreude, sondern ein Lehrstück für digitale Souveränität ist.

Heute kam eine Kollegin zu mir und meinte: „Du musst dich ja heute freuen.“ Ich schüttelte den Kopf, hatte tagsüber keine Nachrichten verfolgt. Erst am Abend verstand ich, was sie meinte:

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat beschlossen, sich von Microsoft zu trennen und künftig auf OpenDesk zu setzen. Eine Lösung aus dem Ökosystem des Zentrum für Digitale Souveränität (Zendis), die bereits in Schleswig-Holstein und bei der Bundeswehr produktiv im Einsatz ist.

Erst einmal wirtschaftlich gesehen keine große Nachricht. Der internationale Gerichtshof hat gerade einmal 1.800 Mitarbeiter. Die Anzahl der Seats vernachlässigbar. Der Preis pro Seat je nach Ausprägung zwischen 10 und 50 Euro pro Monat. Irrelevant für den Software-Lieferanten.

Aber halt. Der internationale Gerichtshof!!!

Ein Schritt, der heute durch alle großen Medien ging. Vom Handelsblatt über Heise bis zur Wirtschaftswoche. Und ja, auf den ersten Blick könnte man sagen: „Endlich hat’s mal einer verstanden.“

Aber ganz ehrlich: Schadenfreude ist hier völlig fehl am Platz.


Es geht nicht um Microsoft.

Dass Redmond in den letzten Wochen mit Ausfällen seiner Rechenzentren zu kämpfen hatte, ist ärgerlich, aber nichts, was nicht auch europäischen Hostern passieren kann. Was diese Entscheidung aber sichtbar macht, ist etwas viel Grundsätzlicheres:

Die strukturelle Fragilität hochzentralisierter IT und der geopolitischen Abhängigkeiten, die damit einhergehen.

Wenn eine politische Entscheidung in Washington genügt, um Zugänge zu sperren oder Konten zu blockieren, dann reden wir nicht mehr über Technik. Wir reden über Macht. Und Macht ist in diesem Fall ungleich verteilt.


Der Trump-Effekt: Wirtschaftspolitik als Waffe

Der Auslöser für diese Entwicklung war Donald Trump.

Im Februar 2025 verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen den IStGH-Chefankläger Karim Khan. Und Microsoft sperrte daraufhin gehorsam dessen dienstliches E-Mail-Konto. Der Vorwand: Der IStGH hatte Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Netanjahu wegen Kriegsverbrechen im Gazastreifen erlassen. Trump nannte das einen „Machtmissbrauch“ und setzte digitale Technologie als Druckmittel ein.

Das ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom:

Amerikanische Konzerne (egal ob Microsoft, AMD oder Adobe) sind dem Mandat der US-Wirtschaftspolitik unterworfen. Diese Politik trägt seit Jahren imperiale Züge, ganz gleich, welcher Präsident sie wie freundlich verkündet.

Der Unterschied: Trump verzichtet auf jedes diplomatische Feigenblatt. Was die US-Regierung als Sanktion beschließt, setzt Microsoft durch die Sperrung des E-Mail-Kontos um – der digitale Arm der US-Außenpolitik.

Was vorher in die Sprache der „strategischen Partnerschaft“ und „Wertegemeinschaft“ verpackt wurde, tritt nun offen zutage. Roh, laut, ungeschminkt, wie ein Straßenschläger.

Und genau das macht die Sache so gefährlich:

Die Abhängigkeit von einem erratisch agierenden politischen System, das internationale Regeln nur dann respektiert, wenn sie dem eigenen Vorteil dienen, wird uns in aller Deutlichkeit vor Augen geführt.


Das langsame Erwachen Europas

Das Positive an dieser Entwicklung: Immer mehr Menschen, Institutionen und Behörden erkennen, was auf dem Spiel steht. Und handeln.

OpenDesk ist keine deutsche Nischenlösung, sondern ein international replizierbares Modell. Die Software integriert Komponenten von acht europäischen Herstellern, wird als Open Source veröffentlicht und bietet volle Hoheit über die Serverstandorte. Ein zentraler Vorteil für alle, die besonderen Anforderungen an Datenschutz und Informationssicherheit unterliegen. Und vor allem für Institutionen und Unternehmen, deren Arbeit nicht durch einen politischen Federstrich aus Washington lahmgelegt werden darf.

Ja, es gibt weiterhin genug Opportunisten, denen das egal ist, solange Umsatz, Erlös und Shareholder Value stimmen.

Aber die öffentliche Hand (ob auf Landes-, Bundes- oder europäischer Ebene) reagiert langsam, dafür aber umso konsequenter, wenn sie sich einmal entschieden hat. Der Schritt des IStGH ist daher keine technologische, sondern eine politische Zäsur.

Er zeigt: Wir können resiliente, souveräne und nachhaltige Strukturen aufbauen. Wenn wir nur wollen.


Ironie der Geschichte: Die öffentliche Hand zeigt der Industrie, wie’s geht.

Während viele Unternehmenskunden noch in den alten Mustern aus „Hyperscaler-Rabatt + Compliance-Check“ verharren, investiert der öffentliche Sektor inzwischen in echte digitale Selbstbestimmung. Neben dem IStGH setzen bereits der Öffentliche Gesundheitsdienst, das Robert-Koch-Institut und das Kultusministerium Baden-Württemberg auf OpenDesk.

Das ist gelinde gesagt recht bemerkenswert.

Und es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass diese Bewegung parallel zu EU-Initiativen wie GAIA-X, dem Data Act und dem Sovereign Tech Fund stattfindet. GAIA-X etwa fördert (bei aller Kritik und Verwässerung durch falsche Mitglieder) den Aufbau föderierter, sicherer Dateninfrastrukturen in Europa und hat bereits über 180 Datenräume etabliert. Der Data Act, seit September 2025 in Kraft, soll die Datenhoheit europäischer Unternehmen stärken. Ein zentraler Baustein der digitalen Souveränität.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der IStGH, eine vergleichsweise kleine Institution, aber mit mehr Außenwirkung als mancher internationale Großkonzern, wird zum Symbol für einen geopolitischen Bruch mit Washington. Und zum Vorreiter für ein Europa, das seine digitale Zukunft selbst in die Hand nimmt.


Fazit

Es geht nicht darum, gegen Microsoft zu sein. Es geht darum, für Europa, für Resilienz und für Unabhängigkeit zu handeln.

Und vielleicht, ganz vielleicht, erleben wir hier den Moment, in dem

„Public Money, Public Code“

nicht mehr nur eine Vision ist, sondern europäische Realität und ein Blueprint für eine erwachende Wirtschaft.

Die Frage ist nur: Wer geht diesen Weg mit uns gemeinsam? Und wer verharrt in alten Mustern ohne zu lernen?

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