Koordinierte Fragmentierung – oder warum Vielfalt unsere Stärke ist

Über 200 Teilnehmende diskutierten im Dresdner Hygiene-Museum bei der ALASCA Summit 2025 über echte digitale Souveränität. Kein Marketing, keine Phrasen – sondern Mut, Vielfalt und Offenheit. Oder, wie Placebo sagen würde: „All it takes is one decision – a lot of guts, a little vision to wave.“

Koordinierte Fragmentierung – oder warum Vielfalt unsere Stärke ist

Eindrücke von der ALASCA Cloud Summit 2025

Ich war zwei Tage lang auf der ALASCA Cloud Summit in Dresden, gemeinsam mit unserem Partner Jörg Sahlmann von Verreaux – und ich kann mit Überzeugung sagen: Das war keine gewöhnliche Fachkonferenz.
Im Hygiene-Museum Dresden trafen sich über 200 Besucherinnen und Besucher aus Politik, Wirtschaft und Community, um über eines der wichtigsten Themen unserer Zeit zu sprechen: digitale Souveränität.

Es ging um nichts Geringeres als die Frage, was eine wirklich souveräne Cloud ausmacht. Denn eines wurde deutlich: Eine Cloud, deren Quellcode, Steuerungsebenen und wirtschaftliche Abhängigkeiten unter Kontrolle einiger weniger US-Konzerne stehen, kann definitionsgemäß nicht souverän sein – egal, wie viele Auditberichte, Datenräume oder „Government/Souvereign Editions“ man davor schaltet.
Souveränität beginnt mit Transparenz, Offenheit und Mitgestaltung – im Code, in der Architektur und in der Gouvernance.

Unterschiedliches Verständnis von Souveränität

Während Hyperscaler „Souveränität“ gerne als Checkbox in ihren Compliance-Dashboards behandeln, meint die Open-Cloud-Community etwas ganz anderes: Gestaltung statt Konsum.
Wer bei jedem neuen Projekt erwartet, dass es „out of the box“ mit einem seit zwanzig Jahren gereiften, 3-stellige Millionen schweren Produkt mithalten kann, hat das Prinzip noch nicht verstanden. Es geht hier nicht um Feature-Parität, darum ging es auch nie. Es geht um Unabhängigkeit, Ownership und Mut.

Schleswig-Holstein als Hero-Projekt

Das Land Schleswig-Holstein ist in dieser Hinsicht ein Pionier – nicht, weil alles perfekt läuft, sondern weil man dort bewusst vorangeht. Andere Bundesländer sind noch nicht so gereift.
Der Pilot ist hochinteressant, wie Sebastian Lindner betonte: Es gibt regelmäßige Update-Runden auf Länderebene für alle, die diesen Weg mitgehen wollen. Genau so entsteht Fortschritt. Offen, transparent, manchmal auch mit etwas steilerer Lernkurve.

Die Panel-Diskussion: Souveränität trifft Realität

Ein echtes Highlight war die von Julia Nitzschner souverän moderierte Panel-Diskussion. Vertreten waren Köpfe, die die Debatte nicht nur führen, sondern prägen:
Dr. Sebastian Lindner, Referatsleiter für Grundsatzfragen Digitalisierung und KI aus Sachsen, Tor Lund-Larsen (Cyberus Technology GmbH), Stephan Ilaender (STACKIT), Kai Martius (secunet), Christian Berendt (23Technologies) und Kurt Garloff (Sovereign Cloud Stack / s7n Cloud).

Selten erlebt man ein Panel, in dem Politik, Forschung und Wirtschaft so offen und realistisch miteinander diskutieren, über offene Schnittstellen, Interoperabilität und den Mut, auch mal bewusst und gezielt gegen den Mainstream, die heute alte Welt, zu entwickeln. Kein Schlagabtausch, kein Marketing. Sondern ehrlicher Diskurs.

Panel Diskussion @ ALASCA Summit 2025

Kubernetes im Weltraum – DARKSOL

Einer der Vorträge, die mich wirklich begeistert haben, kam von Tobias Nöthlich (D3TN) und Martin Messer (Cyberus):
„DARKSOL – Towards a Cloud-Native Platform for Space Applications“.
Wer hätte gedacht, dass Kubernetes und Datentransfer im Orbit derart spannend sein können?


Hier ging es nicht um Theorie, sondern um knallharte Praxis – und um die Frage, wie man Prinzipien wie Containerisierung, Zero Trust und verteilte Replikation dorthin bringt, wo Latenz keine Millisekunden-, sondern exemplarisch an einer Mars-Sonde im Schnitt 20 Minuten (einfach) ist.
Wenn es eines Beweises bedurfte, dass Open Source längst über den Planeten hinaus skaliert, dann war es dieser Vortrag. Habt ihr übrigens gewusst, dass auch bei amerikanischen Missionen entgegen Hollywood - wir erinnern uns an die epische Szene in Space Force mit John Malkovich - quasi nur Open Source auf den Satelliten, Sonden und Rovern eingesetzt wird?

Aufbruch statt Abwicklung

Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Energie im Raum.
Man hat sofort gemerkt: Die Leute sind hier, weil sie Lust auf die Themen haben, nicht weil sie von ihren Arbeitgebern „delegiert“ wurden. Kein Krawatten-Event, keine Pflichtveranstaltung, kein „Corporate Bingo“. Stattdessen: Aufbruchsstimmung pur.
Hier wird über die Zukunft gesprochen, nicht über die lebenserhaltende Maßnahmen alter Modelle und Strukturen.

Strategische Vielfalt als Stärke

Viele Initiativen, viele Player, viele Ideen. Und das ist gut so.
Koordinierte Fragmentierung klingt nach Chaos, ist aber in Wahrheit das, was offenen Fortschritt möglich macht. Gemeinsame APIs, Interoperabilität, aber keine Monokultur.
Zwei oder drei globale Anbieter können keine europäische Cloudkultur hervorbringen. Zehn oder zwanzig miteinander vernetzte Initiativen schon.

Co-opetition statt Konkurrenz

Unter dem Dach von Open Source und Community zu arbeiten heißt, auch dem Wettbewerber die Hand zu reichen.
„Co-opetition“ ist kein Buzzword, sondern das Fundament, auf dem Projekte wie ALASCA wachsen. Wer nimmt, soll auch etwas zurückgeben – Code, Erfahrung, Zeit. Das ist nicht nur aus diversen Gründen eine wichtige moralisch-ethische Grundlage an die wir uns alle halten sollten, sondern Überlebensstrategie. Melissa, eine Kollegin von mir, nennt dies immer "For the greater Good". Und so plakativ dies klingt, so essentiell ist dies für uns.

Der Weckruf an die Wirtschaft

Die öffentliche Hand kann diesen Weg nicht allein gehen.
Wir brauchen Unternehmen, die Mut haben, sich mit europäischen Partnern auf diese Reise einzulassen. Nicht nur als Cloud-Konsumenten, sogenannte "Cloud-Architekten" und Cloud-Verwalter, sondern als richtige Cloud-Builder.
Liebe Systemhäuser, liebe Hoster, liebe ISV's: Richtet euren Kompass neu. Der Wandel von der alten Welt zur innovativen Welt passiert nicht irgendwann – er passiert jetzt. Stellt euch die Frage ob ihr dabei sein wollt.

Schlussgedanke

Wir dürfen nicht darauf warten, dass die Politik die Weichen stellt.
Wir müssen selbst die Gleise verlegen. Nutzt, was da ist. Baut auf. Seid stolz auf das, was wir können, denn bei all den Schlechtrednern und Lobbyisten da draussen, yes, we can!
Digitale Souveränität entsteht nicht in Verordnungen, sondern im Code, im Hands-On.

Und manchmal – ganz ehrlich – auf einem Kubernetes-Cluster, der einfach auf Bare Metal läuft. (Seid gespannt auf mein Kubernetes-Project im heimatlichen Rechenzentrum, more to come!).

Oder, um den Aufruf mit Placebo's Worten zu sagen die heute im MSP-Bereich wahrer sind denn je zuvor:

“All it takes is one decision –
A lot of guts, a little vision to wave.”

(Placebo – Slave to the Wage, 2000)

Und bevor ich es vergesse: Ein ganz großes Dankeschön an das Orga-Team!
Konzerne mit vielfach größerem Budget hätten es nicht besser machen können. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Jahr.

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