Linux auf dem Desktop: Ein Selbstversuch unter Realbedingungen (Teil 2)

Von Distributionen, Bauchgefühlen und einer kleinen SSD mit großem Auftritt
Nachdem mein erster Artikel zur “Linux unter Windows”-Reise auf überraschend viel (zumeist) positive Resonanz gestoßen ist, war mir klar: Ich mache weiter. Nicht als großer Guru, sondern als neugieriger IT-Mensch, der sich ernsthaft fragt: Kann ich in meiner gemischten Welt aus Apple, Windows und Cloud-Tools sinnvoll auf Linux setzen – privat, semiprofessionell und vielleicht sogar im Rahmen meines Nebengewerbes?
Ein befreundeter IT-Leiter in Norwegen – verantwortlich für über 1800 Mitarbeiter in über 40 Ländern weltweit – lächelte nur müde, als ich ihm von meinem Plan erzählte:
„In 14 Tagen begräbst Du das Thema. Du bist viel zu verliebt in Deinen goldenen Apple-Käfig und viel zu verwurzelt in Microsoft…“
Das hat gesessen. Und gleichzeitig geweckt. Ich will es wissen.
Zwischen Apple-Glamour und Windows-Trägheit

Mein goldener Käfig ist Apple. Fraglos tolle Hardware mit perfekt angepasster Software. Aber da sind auch 37 Jahre Microsoft-Sozialisierung/-Gewöhnung/-Bequemlichkeit "Du sollst keinen Softwareanbieter haben neben mir!!!"
Aber da ist noch genug Energie für neue Welten!
Spaß beiseite. Ich bin kein Purist. Mein Alltag ist ein bunter Mix: ein MacBook Pro für Medien und Entwicklung, ein überdimensionierter Windows-PC für Gaming (das inzwischen kaum noch stattfindet), ein Firmenlaptop mit ARM-Chip und mein neuestes Experiment: ein alter Dell Latitude, der mir als Linux-Testumgebung dient.
Ich liebe Technologie – aber ich liebe auch Freiheit. Digitale Souveränität heißt für mich nicht, alles kostenlos zu bekommen, sondern bewusst entscheiden zu können, wem ich meine Daten, mein Vertrauen und mein Geld anvertraue. Genau deshalb interessiert mich Open Source.
Also ... fangen wir mal mit meinem Hardware-Zoo an:
Apple – mein goldener Käfig

Wie schön das doch alles ist. Im physischen Sinn. Die Apple Watch. Das iPhone. Das iPad. Das MacBook. Die GUI. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Sie machen quasi alle richtig. Bis auf das Thema Offenheit ... ein fast absolut geschlossenes Hard- und Software-Ökosystem.
Kann ich mich hier emanzipieren?
- MacBook Pro 16“ mit Apple M4 Max, 64 GB RAM
Mein Medien-Flaggschiff: Adobe, Final Cut, JetBrains – alles läuft rund, vor allem mit beeindruckender Akkulaufzeit, quasi lüfterlos. - iPhone 16 Pro Max (und regelmässig ein kurzer Exkurs zur Google Pixel-Reihe ... und wieder zurück...)
Im Alltag geschäftlich wie privat nicht wegzudenken. - iPad Pro
In erster Linie als Video-Streamer, Lesegerät und mobiles Office (Outlook, Teams).
🪟 Windows – die Altlast (und Gaming-Festung)

Kennt ihr das? Mache ich schon seit x Jahren so. Machen alle Anderen auch so. Große Konzerne, kleine Firmen. IT-Dienstleister, richtige Spezialisten. Hardwarehersteller setzen NUR auf Microsoft (Spoiler: Fake News!)
Der BigMac ist doch naja ... irgendwie schon lecker... schmeckt immer noch wie damals...
Aber irgendwie ist da das Gefühl, dass irgendwas Diffuses vielleicht nicht passt...
„Mobiler Dicker“: Asus Zephyrus 16, Core Ultra 9 285H, 64 GB RAM, RTX 5090 Mobile, Windows 11 Pro
unsinniges Luxusgerät, das selten seinen Sinn erfüllt. :-) Ein “vielleicht spiele ich ja mal unterwegs”-Gerät. Und natürlich Spass mit JetBrains. Aber dafür braucht man definitiv nicht so etwas überdimensioniertes...

„Stationärer Dicker“: Intel Core Ultra 9 285, 128 GB RAM, 4 TB SSD, Nvidia RTX 4090, Windows 11 Pro
Ursprünglich für Games, Experimente und Videoschnitt gebaut. Heute kaum noch im Einsatz – außer für Videorecording mit Elgato HD60X und lokale LLM-Spielereien. ... ich denke, ich spendiere ihm eine zweite SSD mit Linux...

Firmenlaptop (Group IT-managed): Lenovo mit Snapdragon X und Windows 11 Pro für ARM
Extrem ausdauernd, solide Performance – aber durch IT-Vorgaben stark eingeschränkt. Keine lokalen Admin-Rechte, keine USB-Speicher-Medien... naja, eine Mischung aus Schreibmaschine und Videotelefon :-) ... gezwungenermaßen läuft diese Maschine hier nicht mit...
🐧 Der Testkandidat: Dell Latitude 9410 (ex-Firmenlaptop)
Mein Spielplatz für Linux. i7-10610U, 16 GB RAM, 512 GB SSD, Touchscreen, Full-HD. Und: perfekt für Experimente!

Was brauche ich wirklich?
Ich habe mir meine Workloads ehrlich angeschaut – beruflich wie privat. Da stehen Dinge wie Google Workspace, Zoom, JetBrains, Fusion 360, Proton Tools, ChatGPT, Adobe Suite, Snagit und natürlich ein paar Spiele. Klar ist: Nicht alles läuft nativ unter Linux – aber viele Tools haben inzwischen beachtlich gute Alternativen oder lassen sich über Workarounds einbinden.
💼 Beruflich benötige ich u. a.:
- Chrome & Google Workspace (Docs, Sheets, Slides, Meet)
- Microsoft Office 365 (Outlook, Word, Excel, PowerPoint, OneDrive, Teams)
- Zoom, ChatGPT Plus, Google Gemini Pro
- Tools wie Camtasia & Snagit (nicht nur Screen Capture, sondern auch starke Bearbeitungsfunktionen)
🏠 Privat:
- Firefox, Thunderbird
- Proton Suite (Mail, VPN, Pass, Kalender)
- Fusion 360, Bambu Studio (3D-Druck), Visual Studio Pro, JetBrains IDEs
- Mattermost, Signal, Adobe Suite, Affinity-Reihe, DXO Photo Tools, Kofax PDF
- Steam
- "Spezielle" Hardware:
- Tobii Eye Tracker
- Multifunktionsdrucker (HP OfficeJet Pro 9022E)
- Virpil VPC Warbird mit Schubregler
Fazit: Mein Anspruch ist kein “Linux für Puristen”-Setup. Ich will produktiv arbeiten und mich wohlfühlen – ohne dauernd basteln zu müssen - das habe ich ja bereits.
Die Qual der Wahl: Distributionen

Freie Wahl - die auch mal zu einer Entscheidungsstarre führen kann.
Wenn man Relevanz, Verbreitung und aktuelle "Rising Stars" betrachtet können etwa 10-15 Distributionen in Betracht kommen.
Wer neu in der Linux-Welt ist wie ich mit meinem ReBoot, wird schnell mit einem fast religiösen Eifer konfrontiert, was die “richtige” Distribution angeht. Fedora, Mint, Arch, openSUSE, Ubuntu, Tuxedo OS – die Liste ist lang und die Fanlager laut. Jeder empfiehlt “seine” Distro. Die einen schwören auf Rolling-Releases wie Tumbleweed, andere verteufeln genau das. Und da sind wir noch nicht beim Thema Desktop angekommen. KDE? GNOME? XFCE? Cinnemon? ...
In dieser Diskussion fühlte ich mich manchmal wie zu meiner Zeit bei einem großen US-Hyperscaler: intern herrschte dort ein sektenhafter Glaube an die eigene Überlegenheit und die eigenen Produkte - ohne jede Selbstreflektion. Und auch in der Linux-Welt wird offensichtlich gern mal mit dogmatischer Überzeugung argumentiert.
Aber: Die Community lebt. Und genau das hat mich motiviert weiterzumachen.
// Exkurs: Habt ihr gewusst, dass da draußen ein deutscher Hardware-Hersteller sitzt (Tuxedo), der eine auf seine Hardware perfekt abgestimmte Distribution pflegt? Der bekommt von mir erstmal ganz viele Symphatie-Punkte!!!

Hätte ich Tuxedo Computers gekannt, bevor ich mir im Mai den Asus gekauft hätte, wäre die Entscheidung wohl anders ausgefallen...
Ich habe versucht, mich dem Thema strukturiert zu nähern. Für mich zählten am Ende vor allem folgende Kriterien:
- Langlebigkeit und Stabilität
- Sicherheit und Wartung auf Enterprise-Niveau
- Transparente Lizenzmodelle (auch im kommerziellen Umfeld)
- Einfache Installation und Bedienbarkeit
- Professioneller Support, wenn nötig
Die kleine SSD, die alles kann – Ventoy
Hier kam die Wende. Wer Distributionen testen will, braucht ein gutes Boot-Management. Ich erinnerte mich an frühere mechanische Festplatten mit ISO-Switch-Funktion und nettem Display. Ein Google-Dialog mit Gemini Pro spHier kam die Wende. Wer Distributionen testen will, braucht ein gutes Boot-Management. Ich erinnerte mich an frühere mechanische Festplatten mit ISO-Switch-Funktion und nettem Display. Ein Google-Dialog mit Gemini Pro später stieß ich auf Ventoy – ein kleines Open Source-Wunder.



Der Inhalt der Box samt SSD... ... noch ohne Deckel bzw. Kühlkörper ... ...und fertig montiert
Statt mehrere USB-Sticks zu bespielen, habe ich eine alte 2 TB-m.2-SSD im 2230-Format (30 mm Länge, ein Winzling) in meinem Archiv gefunden, sie in ein schickes DockCase-Gehäuse inklusive Display, Pufferspeicher und nerdigem Charme gesteckt – und mit Ventoy zu einem Linux-basierenden Multiboot-System gemacht. Jetzt kann ich Dutzende ISOs einfach draufkopieren und beim Start bequem auswählen, was ich booten will. Ein Traum für jeden Admin!

Der GRUB-Loader zeigt beim Boot alle ISOs an.
Mit einem Klick starte ich Fedora, Mint, Windows oder openSUSE – ganz ohne Umformatieren. Selbst Windows Server lässt sich so booten.







Ventoy hat mein Testen von Grund auf verändert. Und nebenbei: Wer einmal ein Ventoy-DockCase hatte, will nie wieder zurück. Ja, das ist ein bisschen Ironie – aber auch etwas Wahrheit.
Die Distributionen – und meine Entscheidung
Die Auswahl wurde zur Qual. Um mich nicht in endlosen Diskussionen zu verlieren, habe ich mir eine pragmatische Grenze gesetzt: Ich konzentriere mich auf Distributionen mit kommerziellem Background, Enterprise-Fokus und Supportoptionen.

- RHEL ist vollständig quelloffen, aber Zugriff auf Pakete erfordert eine Subskription.
- AlmaLinux & Rocky Linux: 1:1 kompatibel, rein Community-basiert. Kein RH-Support.

- Ubuntu Pro ist kostenlos für bis zu 5 private Geräte.
- Bietet FIPS-Zertifizierungen, Kernel-Livepatching, Compliance-Funktionen.
- Exzellente Dokumentation, solide Community und kommerzieller Support.

- openSUSE Leap teilt Codebasis mit SLES, ist aber nicht vollständig identisch.
- Sehr stark im SAP-Umfeld, gute Performance, aber im Privatbereich etwas sperriger. Aber wenn man von SAP als präferierter Partner ausgewählt wird, ist das schon ein Ritterschlag.
Mein Fazit: Ubuntu Pro als Basis – SUSE aus Liebe
Nach langem Abwägen habe ich mich für Ubuntu Pro entschieden:
- Inklusive FIPS-Zertifizierungen, Kernel-Livepatching und Compliance-Tools
- Stabil, gepflegt, gut dokumentiert
- Unterstützt von Canonical – einem kommerziellen Anbieter mit ausgezeichnetem Community-Rückgrat
- Langzeitstabilität auf Enterprise-Niveau
- Einfache Handhabung, ohne dauernd ins Handbuch schauen zu müssen
- Lizenzklarheit für alle Szenarien (privat, beruflich, hybrid)
- Kostenlos für bis zu 5 private Systeme
Daher wird mein „großer“ Desktop künftig Ubuntu Pro im Dual-Boot mit Windows fahren. Auf dem Latitude bleibt openSUSE allerdings nicht Tumbleweed, sondern openSUSE Leap – aus alter Zuneigung und zur Horizonterweiterung.
Was ich wohl in sechs Monaten öfter booten werde?
Und jetzt?
Der nächste Schritt ist klar: Alltagstauglichkeit testen. Bootzeiten, Hardwareunterstützung, Softwareverfügbarkeit, Cloud-Zugänge, Druckerchaos, WLAN-Treiberwunder, VPN-Zugänge, Remote-Zusammenarbeit, Videobearbeitung, Containerisierung, Updates, Treiber. All das wird Thema in den kommenden Teilen.
Fazit? Davon bin ich noch ganz weit weg. Mein Zwischenfazit? Linux ist kein magisches Wundermittel – aber ein mächtiges Werkzeug. Und wie bei jedem Werkzeug gilt: Man muss wissen, was man will – dann findet man auch das passende Tool. Ist es besser oder schlechter als Windows oder MacOS? Ich kann es pauschal noch nicht sagen, ich sehe auch, dass die Antwort wohl wesentlich differenzierter ausfallen wird als gedacht. Allerdings in einer Hinsicht schlägt Linux alle anderen OSe am Markt. Quelloffenheit bedeutet digitale Souveränität. Digitale Souveränität bedeutet Hoheit über die eigenen Daten und über sich selber.
Wenn du dich – wie ich – fragst, ob du dich von deinem goldenen Apple-Käfig oder der Windows-Wiege emanzipieren kannst: Ja, du kannst. Aber es braucht Zeit, Offenheit und ein bisschen Nerdtum. Zum Glück habe ich davon genug.
Wenn du Fragen zu meinem Setup hast oder selbst überlegst, den Sprung zu wagen – ich freue mich über Austausch. Egal ob hier oder auf Linkedin, Mastodon, Signal oder via Mail (auf keinen Fall auf Whatsapp :-) ). Open Source lebt vom Miteinander – und nicht von der perfekten Lösung.
💬 „All the best people in life seem to like LINUX.“
Steve Wozniak