Microsoft Teams: Der vergiftete Apfel der Pandemie - Ein kritischer Blick

Einleitung
Der 22. März 2020 war der erste Covid-Lockdown-Tag in Deutschland. Heute auf den tag genau 750 Tage. Ein Grund, sich eine ganz spezielle Kampagne etwas Genauer anzuschauen.
Am Anfang wirkte es wie ein sehr großzügiges Geschenk: Mit Beginn der Pandemie verteilte Microsoft seine Kommunikations- und Kollaborationsplattform Teams, als gäbe es kein Morgen. Schulen, Behörden und Unternehmen bekamen kostenlose Lizenzen, als hätte Redmond plötzlich den Gemeinwohlauftrag übernommen. In Wahrheit war es weniger ein Akt der Nächstenliebe als vielmehr das, was man im alten Europa einst „vergifteten Apfel“ nannte – oder, moderner gesprochen: wie ein Zuckerbaron, der überzuckerte Limonade gratis ausschenkt, bis die Kundschaft süchtig genug ist, um von den Flaschen nicht mehr loszukommen um dann richtig für jede Flasche zu zahlen.
Jetzt, zwei Jahre später, zeigt sich das Kalkül: Die Gratisphase läuft aus, und Millionen Nutzer stehen vor der Wahl – zahlen oder von vorne anfangen. Wer in der Zwischenzeit seine komplette interne Kommunikation auf Teams gebaut hat, ist längst in der Abhängigkeit gefangen. Konkurrenzangebote wie Zoom oder Google Meet hatten zwar in der Pandemie ihre kleinen Momente, doch im Marketing und in der flächendeckenden Durchdringung scheiterten sie kläglich gegen Microsofts strategische Offensive. Die Mitarbeiter haben sich an Teams gewöhnt, ganze Workflows setzen ausschließlich darauf.
So steht der Markt im Frühjahr 2022 vor einer unbequemen Wahrheit: Kollaborative Kommunikation ist in den Köpfen vieler gleichbedeutend mit „Teams“. Die Vielfalt, die einst Softwaremärkte auszeichnete, ist hier weitgehend verloren gegangen – und der Lock-in wirkt stärker als je zuvor.
Von der Gratisdroge zur Pflichtabgabe: Microsofts Kampagnen 2020–2022
März 2020 – Die erste Kostprobe
Als das Virus Europa und die USA erreichte, reagierte Microsoft blitzschnell – und nicht aus purer Menschenfreundlichkeit. Plötzlich war die Premium-Version von Teams sechs Monate kostenlos, Office-365-E1-Pakete wurden gewisse Zeiträume verschenkt, und Schulen erhielten Teams via Office 365 A1 praktisch hinterhergeworfen. Für Microsoft war das keine Wohltätigkeit, sondern das Austeilen der ersten Gratisflaschen. Wer einmal den süßen Geschmack der „immer-dabei-Kommunikation“ probiert hatte, sollte nicht mehr davon loskommen.
Frühjahr 2020 – Verführerische Extras
Damit die Probe noch süßer schmeckte, wurden auch in der Gratisversion die Schranken entfernt: Meeting-Planung, unbegrenzte Chats, Features, die sonst richtig viel Geld kosteten. Als Krönung packte Microsoft noch eine „Crisis Communication App“ obendrauf – ein Power-Apps-Template, das kurzfristig sogar Premium-Funktionen freischaltete. Im Gewand der Krisenhilfe verbreitete Redmond damit ein Signal: „Wir sind die Retter in der Not – vertraut euch uns an.“
Sommer 2020 – Bildungsoffensive und Skills-Kampagne
Während Zoom in Schulen zwar punktuell glänzte, baute Microsoft seinen Fuß in die Tür des Bildungssektors strategisch aus. Office 365 A1 mit Teams wurde weltweit Schulen und Universitäten als Notfalllösung angeboten. Parallel startete die globale „Skills-Initiative“, die angeblich 25 Millionen Menschen digitale Kompetenzen bringen sollte. Schön verpackt, aber am Ende vor allem ein Weg, ganze Generationen an Microsoft-Accounts, -Portale und -Tools zu binden.
2020–2021 – Die Gewöhnungsphase
Die Zahlen sprachen eine klare Sprache: Von 20 Millionen täglichen Nutzern im November 2019 schoss Teams auf 44 Millionen im März 2020 – und weiter auf Hunderte Millionen in 2021. Die „Gratisflasche“ wirkte. Schluck für Schluck. Konkurrenz wie Google Meet und Slack versuchte es, aber deren Marketing verpuffte gegen Microsofts geballte Verknüpfung aus Office-Integration, globalem Vertrieb und aggressiver Kommunikation. Wer einmal in Teams chattete, plante gleich den nächsten Termin in Outlook, speicherte Dateien in OneDrive – und merkte nicht, wie schnell die Ketten klickten.
Frühjahr 2022 – Der Kater danach
Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie kommt die Rechnung. Die großzügigen Sonderlizenzen laufen aus, und plötzlich wird klar: Was als „kostenloser Retter“ begann, ist längst eine langfristige teure Dauerlast. Kaum ein Unternehmen wagt den Absprung, zu hoch sind die Hürden. Die Gratisdroge hat ihre Wirkung entfaltet – und Microsoft sitzt als Platzhirsch im Sattel, während die Konkurrenz Marketing-Fehler analysiert oder immer noch fassungslos Microsoft auf der Überholspur hinterherschaut.
Fazit: Der Preis der Bequemlichkeit
Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Microsoft hat gezeigt, wie man eine Krise nutzen kann, um Abhängigkeiten zu zementieren. Mit dem süßen Versprechen der kostenlosen Nutzung wurde eine ganze Wirtschaft in die eigene Plattform gezogen – und jetzt, wo die Rechnungen fällig werden, zeigt sich die wahre Dimension des Lock-ins.
Die Branche indes jubelt: Der erzwungene Wechsel in die Bezahlmodelle führte zu einer regelrechten Explosion an verkauften Lizenzen und begleitenden Dienstleistungen. Systemhäuser, Reseller und Berater erlebten goldene Monate, in denen sich die Nachfrage nach Implementierung, Schulung und Integration vervielfachte. Aus der vermeintlichen Notlösung „Teams“ war ein gigantischer Markt geworden, in dem nicht nur Microsoft, sondern auch dessen Ökosystem prächtig verdient.
Doch die entscheidende Frage lautet: Wo waren eigentlich die europäischen oder gar deutschen Alternativen? Während Microsoft, Zoom und Google um Marktanteile rangen, blieb der hiesige Markt für Kommunikationstools erstaunlich still. Wer, wenn nicht wir in Europa, hätte diese Lücke nutzen können? Stattdessen haben wir uns bereitwillig in die Arme des Softwarebarons begeben – und die Hoffnung auf eigene Lösungen auf die lange Bank geschoben.
Wenn wir nicht endlich aufwachen, wird unsere digitale Unabhängigkeit in immer weitere Ferne rücken. Es reicht nicht, später mit erhobenem Zeigefinger über Monopole zu klagen. Wir brauchen jetzt echte Alternativen – offene Standards, europäische Anbieter, Produkte, die nicht nur kurzfristig Bequemlichkeit versprechen, sondern langfristig Vielfalt und Selbstbestimmung sichern.
Der vergiftete Apfel liegt vor uns, die Flasche mit Zuckerlimo ist immer offen – die Frage ist, ob wir weiter hineinbeißen, einen tiefen Schluck "aus der Pulle" nehmen oder ob wir endlich lernen, eigene Früchte zu kultivieren.