Wenn die Einkaufsgenossenschaft klagt – CISPE gegen die EU-Kommission (und doch nicht gegen Broadcom)

Ein Kommentar zur jüngsten Klage von CISPE gegen die EU-Kommission im Fall Broadcom/VMware – und was sie über digitale Souveränität, offene Systeme und strukturelle Abhängigkeit verrät.
Der Aufschrei kommt spät. Sehr spät.
Zwei Tage es es her, dass ich über Gaia-X und Broadcom schrieb.
Gestern nun, am 24. Juli 2025 vermeldeten unter Anderem Reuters, Heise und CISPE selbst, dass die europäische Cloud-Infrastruktur-Lobby CISPE Klage gegen die Europäische Kommission eingereicht hat. Der Grund: Die Kommission hatte im November 2023 die Übernahme von VMware durch Broadcom für 69 Milliarden Dollar durchgewunken – trotz zahlreicher Bedenken aus dem Markt.
Jetzt also die Klage. Man fühle sich von der Kommission übergangen, Broadcom nutze seine Marktmacht aus, der Markt werde stranguliert. Ja, das mag alles stimmen – nur: Der Zeitpunkt ist bemerkenswert. Die Lizenzumstellungen sind längst Realität. Perpetual-Lizenzen wurden gestrichen, Support endete über Nacht, neue Preismodelle zwingen zu Multi-Jahresverträgen, Preise steigen teils um den Faktor zehn.
Und was tut CISPE?
Man zieht nicht etwa Konsequenzen. Man klagt. Und zwar nicht gegen Broadcom, sondern gegen die Kommission.
Die Rolle von CISPE – Interessenvertretung oder Digitale Selbstermächtigung?
Ich habe in meinem früheren Beitrag zur Rolle von CISPE und Gaia-X bereits skizziert, wie sich CISPE zunehmend von einem Förderbündnis für digitale Souveränität in Richtung Einkaufsgenossenschaft mit angeschlossener PR-Abteilung entwickelt hat. Die aktuelle Klage passt exakt in dieses Muster:
- Es geht nicht um den Wechsel auf Open-Source-Lösungen.
- Es geht nicht um technologische Unabhängigkeit.
- Es geht nicht um neue Architekturen oder europäische Alternativen.
Es geht einzig darum, dass die bestehenden CISPE-Mitglieder weiterhin Zugang zu einem Herstellerprodukt erhalten – nur eben zu besseren Konditionen. Dass es sich hierbei um exakt jene Produktfamilie handelt, deren Lizenzpolitik den Markt so brutal umkrempelt, scheint dabei zweitrangig.
Oder zynischer formuliert: Man beklagt den Erpresser – aber nicht die Erpressung an sich. Man will weiter VMware nutzen. Nur bitte günstiger, am Besten wie bisher.
Ein kurzer Blick in die Details
- Reuters berichtet von der rechtlichen Strategie: Man wolle die Genehmigung der EU-Kommission annullieren lassen – wegen „Fehleinschätzungen in der wettbewerblichen Bewertung“.
- CISPE selbst kritisiert, dass Broadcom Lizenzmodelle eingeführt habe, die jede Form von Preiskalkulation unmöglich machen – Kündigungsfristen von wenigen Wochen, keine Sicherheitsupdates ohne neue Verträge, faktische Ausschlüsse für kleinere Anbieter.
- Heise verweist auf das „European Cloud Observatory“ von CISPE, das Broadcom inzwischen mit einem „Red Alert“ markiert – wohlgemerkt: nachdem man jahrelang nichts Konkretes unternommen hat.
Die Empörung ist also groß. Nur – wohin führt sie?
Verpasste Chancen, vertane Zeit
Was wäre möglich gewesen?
- Eine gemeinsame technische Arbeitsgruppe zu OpenStack, Proxmox, OpenNebula oder gar Nutanix als VMware-Alternative.
- Fördermittel für kleinere europäische Anbieter mit open-source-freundlicher DNA.
- Eine klare Botschaft: „Wir verlassen das Broadcom-Ökosystem – Schritt für Schritt, aber mit Plan.“
All das wäre ein Signal gewesen. Stattdessen: Verbandsjuristen, Lobbyrhetorik, Klageschrift.
Es bleibt der bittere Beigeschmack, dass CISPE nicht für digitale Souveränität kämpft, sondern für bessere Einkaufsbedingungen innerhalb eines abgeschlossenen Systems. Das mag legitim sein – aber es hat mit Unabhängigkeit und Zukunftsfähigkeit wenig zu tun.
Was bleibt?
CISPE klagt gegen die EU-Kommission. Man fürchtet Marktmissbrauch, Preisexplosionen, Wettbewerbsverzerrung. Zu Recht.
Aber man klagt eben nicht gegen das Prinzip der Abhängigkeit, sondern nur gegen dessen Auswüchse.
Die eigentliche Frage wäre: Wie kommen wir raus aus dieser Abhängigkeit? Wer wagt den Schritt zu mehr Vielfalt, zu echter europäischer Eigenständigkeit, zu mehr Open Source?
CISPE liefert darauf derzeit keine Antwort. Und bestätigt damit unfreiwillig genau jene These, die wir zuletzt formuliert haben:
„CISPE ist längst nicht mehr das Flaggschiff digitaler Selbstbestimmung, sondern ein Interessenverband im Dienste seiner Mitglieder – mit Hang zur Besitzstandswahrung.“
Die Klage mag berechtigt sein – sie ist aber auch ein Zeichen der Mutlosigkeit.
IMHO: Es reicht nicht, gegen den Preis des Käfigs zu klagen. Man muss auch irgendwann darüber nachdenken, ob man den Käfig selbst noch braucht.