Why do they love the bad guys?
Warum lieben so viele die Hyperscaler? Weil der goldene Käfig bequem wirkt: glänzende Tools, alles integriert. Ex-Microsoft-Mitarbeiter verteidigen den Konzern besonders lautstark. Doch digitale Souveränität fragt: Ist Bequemlichkeit wirklich mehr wert als Freiheit?

Prolog: Die toxische Beziehung
Stellen wir uns die Hyperscaler einmal nicht als nüchterne Rechenzentren mit Betonwänden, Kühlanlagen und Compliance-Zertifikaten vor – sondern als jene Typen, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Laut, reich, charismatisch – und mit einer ungesunden Neigung zur Kontrolle. Kurz: die „Bad Guys“.
Und genau wie im echten Leben gilt: alle wissen, dass diese Beziehung nicht gesund ist. Enterprise-Kunden schwören hoch und heilig, Multi-Cloud-Strategien gegen „Lock-in“ zu fahren – während sie im nächsten Satz den Exklusivvertrag mit Microsoft unterzeichnen. KMUs beklagen sich regelmäßig über ihre Abhängigkeit von „den Großen“, tippen aber brav ihre Angebote in Teams und lassen Google ihre Kundendaten indexieren. Und Privatpersonen? Die posten jeden zweiten Tag über Datenschutz auf Facebook – um dann auf WhatsApp das nächste Katzenvideo zu verschicken und navigieren mit dauerhaft aktivierter Standortfreigabe mit Google Maps.
Interessanterweise sind es oft gerade dann noch die ehemaligen Mitarbeiter, die nach Entlassungen oder Umstrukturierungen das Unternehmen verlassen haben (oder verlassen mussten), die sich zu den lautstärksten Verteidigern des Konzerns aufschwingen. Ich persönlich sehe das regelmäßig bei 3 guten Bekannten, einer von AWS, einer von Broadcom, einer von Microsoft. Stockholm-Syndrom in Reinform. Wer jahrelang in einem System sozialisiert war, findet es natürlich schwer, plötzlich kritisch zu reflektieren. Also monetarisiert man lieber das eigene Stockholm-Syndrom – als Berater, als selbsternannter „Cloud-Influencer“, als lautstarker LinkedIn-Kommentator ohne jegliche kritische Reflektion des eignenen Standpunktes.
Die Fakten sind klar:
- Microsoft x365 hat über 400 Mio. aktive Nutzer – mehr als die Bevölkerung der USA.
- 83 % der Deutschen nutzen WhatsApp, obwohl 62 % Meta nicht vertrauen.
- AWS + Azure teilen sich über 60 % des Cloud-Markts.
- 90 % der Hoster nutzen Broadcom - trotz der "Neuausrichtung" im letzten Jahr.
Mit anderen Worten: Wir haben es nicht mit rationalen Entscheidungen zu tun. Wir haben es mit Liebe zu tun – oder besser gesagt: mit einer toxischen Form von Abhängigkeit, die Psychologen sonst unter „Stockholm-Syndrom“ einordnen würden. Man verteidigt sogar den Konzern, der mit meinen Daten agiert, der die Preisschraube unter dem Mantel "neuer Mehrwerte" anhebt, ja, der einen selber vielleicht sogar vor die Tür gesetzt hat.
Denn es ist ja nicht so, dass es keine Alternativen gäbe. Open-Source-Player wie Nextcloud, OpenCloud, Mailbox.org, Infomaniak, Proton oder auch Matrix bieten echte digitale Souveränität, zahlen ihre Steuern im Land und schaffen Arbeitsplätze vor Ort. Aber während diese Lösungen wie der nette, zuverlässige Nachbar wirken, laufen wir trotzdem lieber dem Bad Boy mit dem Sportwagen hinterher – wissend, dass er uns am Ende die Brieftasche leerräumt.
Die zentrale Frage hier lautet also: Warum lieben sie die Bad Guys? Warum nehmen wir Datenabfluss, Steuerflucht und erodierende Souveränität in Kauf, nur um uns im warmen Schein von Komfort und Anschlussfähigkeit zu sonnen?
Die Antwort liegt – wie so oft – irgendwo zwischen Convenience, Gruppendruck und dem uralten Reflex: „Alle machen es, also mach’ ich es auch.“
Kapitel 1: Enterprise-Kunden – die Konzernliebe

Wenn es eine Klientel gibt, die das toxische Beziehungsmodell mit den Hyperscalern perfektioniert hat, dann sind es die großen Konzerne.
Hier wird die „Liebe“ zu Alibaba, Microsoft, AWS oder Broadcom nicht nur gelebt – sie wird in Governance-Strukturen gegossen, in PowerPoint-Folien verewigt und mit millionenschweren Verträgen besiegelt.
Die Rhetorik
Fragt man einen CIO auf einer Konferenz, hört man Sätze wie:
- „Wir fahren Multi-Cloud, um Lock-in zu vermeiden.“
- „Digitale Souveränität ist für uns strategisch wichtig.“
- „Wir prüfen Open-Source-Alternativen sehr sorgfältig.“
Die Realität:
- 80 % der Workloads eines Unternehmens liegen faktisch bei einem Hyperscaler.
- „Multi-Cloud“ bedeutet oft: AWS + Azure + ein paar Test-VMs bei den restlichen Anbietern.
- Digitale Souveränität endet beim unterschriebenen Hersteller-Rahmen-Vertrag - auch wenn die aktuelle "Vertragsstandardisierung" vielleicht den Einen oder Anderen hart treffen wird.
Die Zahlen
- AWS + Azure kontrollieren zusammen über 60 % des globalen Cloud-Markts.
- Microsoft ist im Enterprise-Segment omnipräsent: über 95 % der DAX-Unternehmen nutzen M365.
- In Deutschland geben große Unternehmen jährlich Milliarden für Cloud-Verträge aus – größtenteils fließen die Erträge in die USA, ein paar Prozent wirft man den reinen Resellern als "Incentive" hin und sieht interessiert zu, wie sich die paar letzten Spieler darum balgen.
Die Psychologie
Warum lieben Enterprise-Kunden die Bad Guys?
- Karriere-Logik: Kein CIO verliert seinen Job, weil er Microsoft genommen hat.
- Komplexitäts-Aversion: „Lieber ein Vertrag mit einem Giganten als 20 mit lokalen Anbietern.“
- Prestige: Ein „Azure-First“-Slide im Strategie-Deck wirkt deutlich glamouröser als „Nextcloud beim lokalen Hoster“.
Die Absurdität
Gerne werden riesige Projekte für „digitale Souveränität“ in den Medien verkündet – man denke an GAIA-X oder diverse Bundes-Cloud-Initiativen.
In der Realität?
- Projektteams kollaborieren in Teams.
- Dokumente liegen auf SharePoint.
- Calls laufen über Azure-Rechenzentren.
- Hcihvertrauliche Dokumente werden über zentrale Verschlüsselungsmethoden über einen aus den USA gesteuerten Verzeichnisdienst umgesetzt
Kurzum: Wir investieren Millionen in die Idee der Unabhängigkeit – und betreiben sie ausgerechnet mit den Tools, die uns abhängig machen.
Die Ironie
Enterprise-Kunden sind wie Menschen, die einen Entzug planen – während sie sich die nächste Zigarette anzünden, die Abnehmen wollen, während sie sich die nächste Jumbo-Pizza bestellen. Plus Cola. Plus Häagen Dazs.
Sie wissen, dass die Abhängigkeit gefährlich ist. Sie reden öffentlich darüber, sie schreiben Strategiepapiere.
Aber am Ende siegt die Bequemlichkeit – und die Liebe zum Bad Guy bleibt bestehen.
Kapitel 2: KMUs – die praktische Liebe

Wenn die Enterprise-Kunden die Konzernliebe pflegen, dann leben die kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) die praktische Liebe zu den Bad Guys.
Hier geht es nicht um Glamour, Strategie-Folien oder Karriere-Logik – hier geht es um Pragmatismus. Oder besser gesagt: um Bequemlichkeit.
Die Realität im Alltag
- Rechnungen gehen per Teams-Chat raus.
- Kunden erwarten OneDrive-Links.
- Der Steuerberater will bitte die Unterlagen per Outlook. (Steuerberater und deren Abhängigkeit zur Datev sind ein Thema für sich. Die Datev als einer der größten ISV's hat sich in all den Jahren immer mehr in eine - vermeidbare - Abhängigkeit bugsiert und läuft nun mit der Microsoft-Cloud-Fahne in Händen vorneweg)
Keiner dieser Punkte wäre technisch alternativlos – aber es ist eben einfach, billig und kompatibel mit allen anderen.
Die Argumente der KMUs
- Kosten: „Microsoft 365 kostet uns nur ein paar Euro pro Mitarbeiter, das ist billiger als ein eigener Admin.“
- Komplexität: „Wer will sich schon mit Nextcloud, Open-Xchange oder Matrix-Instanzen herumschlagen?“
- Anschlussfähigkeit: „Unsere Kunden und Partner nutzen es auch – sonst geht die Zusammenarbeit nicht.“
Die Zahlen
- Laut Bitkom nutzen über 70 % der KMUs in Deutschland Microsoft 365 oder Google Workspace.
- Eigene Mailserver oder Groupware? Fast ausgestorben – zu teuer, zu komplex.
- Cloud-Dienste der Hyperscaler sind für KMUs faktisch Marktstandard.
Die Ironie
Viele KMUs predigen stolz: „Wir sind unabhängig, wir lassen uns von niemandem gängeln.“
Doch in ihrer IT sind sie so abhängig wie ein Teenager von TikTok und Instagram.
Der Widerspruch:
- In Sonntagsreden wird gern gegen „die Großen“ geschimpft.
- Am Montagmorgen wird dann brav das nächste Word-Dokument in OneDrive gespeichert und Excel als Reporting-Tool der Wahl eingesetzt.
Die traurige Wahrheit
Die KMUs sind wie Menschen, die auf dem Wochenmarkt regionale Bio-Äpfel kaufen – und abends heimlich bei McDonald’s essen gehen.
Sie wissen, dass es ungesund ist, sie reden von „Regionalität“ und „Souveränität“ – aber am Ende entscheidet der Preis und die Bequemlichkeit.
Die verpasste Chance
Dabei könnten gerade KMUs enorme Vorteile haben, wenn sie auf lokale Anbieter und Open Source setzen würden:
- Digitale Souveränität und Kontrolle über ihre Daten.
- Wertschöpfung vor Ort: Arbeitsplätze und Steuern bleiben in der Region.
- Flexibilität: Bausteine lassen sich frei kombinieren, statt sich an einen Anbieter zu ketten.
Aber das ist unbequem. Und so bleibt die Liebe zum Bad Guy – praktisch, preiswert, aber eben toxisch.
Kapitel 3: Privatpersonen – die süchtige Liebe

Wenn Konzerne die Hyperscaler strategisch lieben und KMUs sie praktisch lieben, dann sind Privatpersonen die wahren Junkies in dieser Beziehung.
Hier reden wir nicht über Verträge, Lizenzen oder Compliance – hier geht es um FOMO (Fear of Missing Out) und den digitalen Kick.
Der Alltag
- WhatsApp ist die digitale Grundversorgung. Kein Mensch behauptet, es sei sicher oder vertrauenswürdig – aber alle nutzen es.
- TikTok und Instagram verschlingen jeden Abend Stunden, verbrennen kostbare Lebenszeit – selbst von Menschen, die auf LinkedIn Datenschutz-Bedenken posten.
- Facebook gilt als „out“, aber gleichzeitig organisieren sich Sportvereine, Nachbarschaften und selbst Grundschul-Eltern dort.
Die Abhängigkeit ist längst nicht mehr technisch, sondern sozial. Wer nicht in WhatsApp ist, existiert für viele schlicht nicht.
Die Zahlen
- WhatsApp: über 2,7 Milliarden Nutzer weltweit, in Deutschland nutzen 83 % - also fast jeder - Whatsapp.
- TikTok: über 20 Millionen aktive Nutzer allein in Deutschland.
- Facebook: noch immer über 2 Milliarden monatlich aktive Nutzer global.
Die Psychologie
Warum lieben Privatpersonen die Bad Guys?
- Netzwerkeffekt: Alle anderen sind dort – also muss ich auch.
- FOMO: Dear of Missing Out - ich könnte etwas verpassen
- Convenience: Es ist da, es ist gratis, es funktioniert, alles grift so schön ineinander.
- Illusion der Kostenlosigkeit: „Ist doch umsonst, wo ist das Problem?“
Die Ironie
Die gleichen Menschen, die auf Facebook einen langen Post über „Datenschutz und Privatsphäre“ schreiben, schicken das nächste Babyfoto über WhatsApp – direkt an die Meta-Server.
Es ist die digitale Version von: „Ich weiß, dass Rauchen schädlich ist – aber es entspannt mich so.“
Die Metapher
Privatpersonen in ihrer Beziehung zu Hyperscalern sind wie Menschen in einer toxischen Partnerschaft:
- Sie wissen, dass es ihnen schadet.
- Sie sehen die Warnzeichen.
- Aber sie bleiben – weil „alle Freunde und die Familie auch dort sind“.
Die verpasste Freiheit
Das Tragische: Alternativen existieren längst.
- Signal oder Threema für Messaging. (Threema war vor etwa 10 Jahren schon meine ENtscheidung)
- Mastodon statt Facebook/Twitter. Seit dem ich Ende letzten Jahres vom Fediverse "erfahren" habe ziehe ich Schritt für Schritt dort hin.
- PeerTube statt YouTube - klingt für mich sehr spannend, die Testinstanz läuft (übrigends bei IONOS).
- Matrix als universeller Hub zwischen Welten - Testinstanz ist in Planung. Und keine Angst, für die zögerliche Angehörigen gibts auch noch eine Whatsapp Bridge und eine Teams Bridge.
Doch gegen die Sogwirkung des Netzwerkeffekts kommen Vernunft und Souveränität kaum an.
So bleibt die Liebe zum Bad Guy – süchtig, bequem und voller Widersprüche.
Kapitel 4: Die 11 Dogmen – oder warum Ex-Evangelisten nicht loslassen können

Es gibt eine besonders faszinierende Untergruppe in dieser ganzen Liebesbeziehung mit den „Bad Guys“: die Ex-Mitarbeiter.
Menschen, die Redmond, Hangzhou, Seattle, Palo Alto oder eines der zahllosen Tochterunternehmen im Zuge von Umstrukturierungen, Sparrunden oder „Re-Orgs“ irgendwann verlassen haben (oder verlassen mussten). Eigentlich sollten sie es besser wissen. Eigentlich müssten sie kritisch sein.
Aber nein – paradoxerweise sind es oft gerade sie, die sich in den sozialen Medien zu den lautstärksten Verteidigern des Konzerns aufschwingen, zu wahren Zeloten.
Das Phänomen ist leicht erklärt: Wer sein gesamtes Berufsleben damit verbracht hat, das Evangelium zu predigen, kann schwerlich über Nacht zum Ketzer werden. Also macht man das, was man gelernt hat: Man monetarisiert das Stockholm-Syndrom und macht im Kleinen - als Angestellter oder Selbständiger so weiter wie vorher. Interessant sind ihre fast pawlowschen Reflexe wenn etwas an ihrer Weltanschauung kratzt. Sie werden aggressiv, hämisch und herablassend. Wie der Mobber auf dem Pausenplatz. Wie ein klassicher Forentroll. Aber man darf nicht vergessen, sie sind die wahren Opfer. Denn sie können nicht aus ihrer eigenen Haut und sitzen in ihrer selbstgebauten und kaum durchdringbaren Blase. Und ja, ich war auch einmal so jemand.
Und plötzlich liest man auf LinkedIn von Menschen die man wirklich schätzt - weil sie großartige Spezialisten auf ihrem Fachgebiet, "ihrem Hersteller", sind - Dinge wie:
„Mit Verlaub, Proton, Infomaniak oder Mailbox.org gegen M365 Business Premium zu stellen ist eine Frechheit! KEINE Chance – weder preislich, noch operativ, noch sicherer, noch umweltfreundlicher!“
Oder, noch besser, eine komplette Einkaufsliste an „Unmöglichkeiten“:
„Wie löst ihr denn mit Open Source bitte:
- Passwortloses SSO
- Zero Touch MDM
- Zero Trust Security
- Offline-Arbeiten
- Online-Kalender
- Formulare
- Automatisierung
- Verschlüsselte Mails
- Sichere Videochats
- Rechtssichere Archivierung
- Elektronische Signaturen?“
Die Suggestion: Ohne "meinen Hersteller" läuft gar nichts.
Die 11 Dogmen – entzaubert und faktisch belegt
- Passwortloses SSO über alle Business Apps
– Klar, Keycloak oder Authentik sind nur Einbildung. Dass EU-Kommission, Hochschulen und große Konzerne längst OpenID Connect und SAML einsetzen, ist vermutlich Zufall. - Zero Touch MDM über alle Geräte
– Apple DEP und Android Enterprise gibt’s selbstverständlich nur, damit Intune eine hübsche Oberfläche hat. Dass Jamf, Kandji oder sogar Open-Source-MDMs wie micromdm exakt das Gleiche können, wird verschwiegen oder ist im eignen Kosmos einfach nicht bekannt. - Zero Trust Security von Cloud bis USB-Stick
– Zero Trust stammt aus Googles! „BeyondCorp“-Modell (2010). Heute nutzen Schweizer Behörden Zitadel, deutsche Firmen Proxys wie Teleport. Aber klar: erfunden hat es natürlich Microsoft – wie Kolumbus „Amerika“. - Mobiles/hybrides Arbeiten, auch offline
– Ohne Teams gäbe es kein mobiles Arbeiten. Nextcloud-Nutzer, die seit Jahren offline Dateien synchronisieren, sind vermutlich allesamt Zauberer. - Online buchbare Kalender & Formulare
– CalDAV, Nextcloud Forms, Open-Xchange. Die Schweizer Bundesverwaltung betreibt Groupware damit. Aber nein: Outlook ist das einzige gültige Kalendersystem im Universum. - Automatisierung
– n8n (Berlin), Ansible (Red Hat), SaltStack. Global im Einsatz. Aber angeblich zählt nur, was „Power Automate“ heißt – sonst ist es Bastelware. - Verschlüsselte E-Mails
– PGP gibt’s seit 1991, S/MIME ist Standard in Behörden. Mailbox.org, Proton oder Posteo bieten Verschlüsselung per Klick. Aber laut Dogma gilt: „Sicher ist nur, wenn Microsoft mitliest.“ Das Grauen dieses Art von Admins - eine echte End2End-Verschlüsselung von eMails - nicht die Server zu Server-Augenwischerei. - Sichere Videochats & Kollaboration
– Jitsi bei NGOs, BigBlueButton in Universitäten, Matrix/Element Call beim britischen Gesundheitsdienst (über 1,5 Mio. Nutzer). Aber natürlich: deutsche Mittelständler können das nicht, sie brauchen Teams. - Rechtssichere Archivierung
– DATEV, Mailstore, Univention – erfüllen seit Jahrzehnten GoBD, HGB, DSGVO. Die Deutsche Börse archiviert nichts in Teams. Aber klar: nur die US-Cloud ist rechtskonform. - Office- & PDF-Bearbeitung mit Schutz
– Collabora Online (LibreOffice) und OnlyOffice laufen in Verwaltungen quer durch Europa. In Frankreich standardisiert die öffentliche Verwaltung LibreOffice. Aber ja: nur Excel kennt die wahre Formel. - Elektronische Signaturen
– D-Trust (Bundesdruckerei), Swisscom Trust Services, DocuSign – alles eIDAS-zertifiziert. Aber wehe, die Signatur stammt nicht aus Redmond – dann ist sie wertlos wie ein Autogramm von Dieter Bohlen.
Aber - natürlich muss man hier noch etwas Implementierungsarbeit reinstecken. Es geht hat nicht 65% über eine Office 365 Konsole 30% über ein Azure Fontend und 5% über Powershell zusammenzuklicken, sondern es wird schon etwas anspruchsvoller. Womit wir wieder bei den Dingen sind, die man nicht kennt, bei denen man verunsichert ist. Also reagiert man ablehnend, aggressiv, höhnisch und herablassend. Viel passiv-aggressive Rethorik erscheint hier plötzlich wie das Kritik ins Lächerliche gezogen wird, es erfolgt indirekte Diskreditierung, Fan-Missionierung, sprich wenn man ihre Parolen und wiederholenden Argumentationsmuster nicht übernimmt gilt man als unprofessionell. „Ja klar, setzt du mal dein Nextcloud auf – ich hab in der Zeit schon drei Deals mit Teams abgeschlossen.“ Es ist eine Mischung aus Loyalitätsbekundungen, unterschwelliger Abwertung von Kritikern und ironisch getarnter Rechthaberei.
Exkurs: Was kostet die Liebe wirklich?
Die Dogmatiker beten gerne das Mantra herunter: „Open Source ist teurer, komplizierter und unterm Strich keine Alternative.“
Gut, schauen wir uns das nüchtern an:
Fall 1: Microsoft 365 Business Premium
- Preis pro Nutzer: 22 € pro Monat (Listenpreis Deutschland, Stand 2025)
- Enthalten: Mail, Kalender, Teams, Office, Security, OneDrive
- Laufzeit: 12 Monate
👉 50 Mitarbeiter: 50 × 22 € × 12 = 13.200 € pro Jahr
Fall 2: Offene und lokale Alternativen
- Mailbox.org Business – Mail, Kalender, Kontakte, Videokonferenz, Verschlüsselung
- 4,50 €/Nutzer/Monat → 2.700 €/Jahr
- Nextcloud (gehostet bei Infomaniak oder IONOS) – Filesharing, Kollaboration, Office
- ca. 5 €/Nutzer/Monat → 3.000 €/Jahr
- Matrix/Element gehostet – Chat & Kollaboration
- ca. 2 €/Nutzer/Monat → 1.200 €/Jahr
👉 Gesamtkosten: 6.900 € pro Jahr
Ergebnis
- Microsoft 365: 13.200 € pro Jahr
- Open Source Stack: 6.900 € pro Jahr
Differenz: 6.300 € jährlich – fast 50 % günstiger.
Dazu:
- Daten bleiben in Deutschland/Schweiz.
- Wertschöpfung & Steuern bleiben hier.
- Keine Abhängigkeit von einem Anbieter.
- Wir reden hier nicht von Lizenzkosten!
Fazit: Stockholm ist teuer
Die Microsoft-Dogmen sind letztlich wie die Argumente eines Rauchers:
- „Andere Zigaretten schmecken nicht.“
- „Ohne Rauchen könnte ich gar nicht entspannen.“
- „Aufhören ist unmöglich.“
In Wahrheit ist es kein Mangel an Alternativen, sondern schlicht fehlender Mut zur Veränderung, Resignation und Bequemlichkeit.
Und der Preis dieser Mutlosigkeit: doppelt so hoch wie notwendig – plus digitale Unfreiheit gratis obendrauf.
Epilog: Break-up oder Stockholm-Syndrom?

Am Ende dieser Betrachtung stellt sich die Frage: Warum lieben wir sie eigentlich noch – die Bad Guys?
Wir kennen die Risiken. Wir wissen um die Abhängigkeiten. Wir sehen, wie digitale Souveränität erodiert, wie Wertschöpfung ins Ausland abfließt und wie wir uns selbst in goldene Käfige einsperren.
Und trotzdem bleiben wir.
Die Psychologie der Gefangenschaft
Es ist wie beim Stockholm-Syndrom: Irgendwann beginnen die Geiseln, ihre Entführer zu verteidigen.
- Ex-Mitarbeiter predigen weiter das Evangelium. (dann muss es doch gut sein!)
- CIOs forcieren Verträge, die sie eigentlich vermeiden wollten und sollten. (und denken in ihrer Vertragslaufzeit beim Arbeitgeber - bloss kein Risiko in den nächsten 3 Jahren eingehen!)
- Privatpersonen posten Datenschutz-Bedenken auf Plattformen, die genau diese Daten monetarisieren. (Kennt ihr die sporadisch auftretenden Wellen von "Ich widerspreche der Nutzung..."-Posts?)
Die Ironie der Politik
Selbst Staaten und Behörden verkünden stolz Initiativen für „digitale Souveränität“ – während ihre Projektteams in MS Teams arbeiten, die Unterlagen in Public Cloud Drives ablegen und ihre Calls über Hyperscaler-Rechenzentren abwickeln.
So fördern wir mit Steuergeldern die Idee der Unabhängigkeit – und zahlen gleichzeitig brav das nächste "kosolidierte Billing".
Die EU fördert mit dem Prototype Fund Open Source mit 15,2Millionen Euro. Die berühmt-berüchtigte Radwegförderung der Bundesregierung für Peru lag allein bei 44 Millionen Euro.
Aber es gibt auch Lichtblicke - und wir kommen zum Abschluss - dem ...
Die Hoffnungsschimmer
Und doch gibt es sie: die Alternativen.
- Open Source: Nextcloud, Matrix, Mastodon, LibreOffice.
- Lokale Anbieter: IONOS, Infomaniak, Mailbox.org, Proton, Tuxedo, Volla.
- Dezentralität: Föderierte Dienste, die uns Freiheit und Flexibilität zurückgeben - schaut euch das Fediverse an.
- Neue politische Institutionen wie das ZenDiS erfinden sich gerade und platzieren sich kämpferisch
- Selbst die Landeshauptstadt München - einst das Muster für ein gescheitertes Open Source Projekt - orientiert sich nun wieder mehr in diese Richtung.
Sie alle sind keine perfekte Kopie der Hyperscaler – aber genau darin liegt ihre Stärke: Sie sind vielfältig, offen, anpassbar. Und sie halten die Wertschöpfung, die Arbeitsplätze und die Steuern vor Ort.
Fazit
Wir stehen vor einer Wahl:
- Bleiben wir in der toxischen Beziehung, weil es bequemer ist und unser Dienstleister vielleicht in seiner selbstgebauten (psychischen und/oder monetären) Abhängigkeitsspirale verharrt?
- Oder finden wir den Mut zum Break-up und zur digitalen Selbstbestimmung?
Die Wahrheit ist unbequem: Souveränität ist selten so komfortabel wie Abhängigkeit.
Aber sie ist der einzige Weg, die Beziehung zu den Bad Guys nicht nur zu überleben – sondern langfristig endlich zu beenden. Und manchmal kann der richtige Partner hier von essentiellem Wert sein.
Versteht mich nicht falsch, all diese angesprochen Hyper-Anbieter stellen tolle Technologie her. Aber unser Leben sollte nicht nur durch Kostenoptimierung, Social-Media- und Technologie-Konformitätsdruck geprägt sein - sondern auch durch den verantwortungsvollen Umgang. Damit wären wir wieder bei ethischer IT.