ChannelPartner-Kongress 2025 – Eindrücke, Stimmungen und persönliche Perspektiven

Am 02. und 03. September fand die Channelpartner-Konferenz 2025 in Mainz statt. 2 voll gepackte spannende Tage, etwa 250 CxO's von deutschen Systemhäusern waren vor Ort - für Austausch und Inspirationen.
Dies ist (bis auf mein Fazit am Ende) eine ungefärbte Zusammenfassung der Eindrücke und Stimmungen von vielen Gesprächen die ich dort geführt habe sowie von Vorträgen und Podiumsdiskussionen – ergänzt durch meine persönliches (dann doch gefärbtes 😄 ) Fazit.
I. Die Hauptthemen und die Stimmung in der Branche
Die beiden dominierenden Themen der zweitägigen Veranstaltung waren Digitale Souveränität und Merger & Acquisitions (M&A) / Nachfolgeregelungen.
Viele Gründer der 80er und 90er verabschieden sich in den Ruhestand – und hinterlassen eine Nachfolge-Lücke. Statt Resignation war aber eher Aufbruch zu spüren:
- M&A wird nicht nur als Risiko, sondern zunehmend als Chance für neue Strukturen, frische Ideen und Synergien betrachtet.
- Viele sehen darin die Möglichkeit, die eigene Schlagkraft zu erhöhen und sich besser zu positionieren.
Das Stimmungsbarometer ließ sich mit einem Zitat einfangen:
„Kaufen kann jeder, zusammenbauen aber nur die wirklich Guten!“
Dies zeigt zwar die Skepsis gegenüber M&A, wurde aber zugleich als Appell zur Professionalität verstanden: Wer Integration ernst nimmt, kann und wird gestärkt daraus hervorgehen.
II. Die Systemhäuser und ihr Ringen um Identität
Die Branche bewegt sich spürbar weg vom „Alles-für-alle“-Ansatz hin zu klarer Positionierung.
- Spezialisten gewinnen, weil sie Vertrauen schaffen.
- One-Stop-Shops geraten unter Druck, wenn sie nicht echten Mehrwert liefern.
Bemerkenswert war, dass viele Partner nicht nur über digitale Souveränität reden, sondern aktiv nach Wegen suchen, sich von alten Abhängigkeiten – speziell von Microsoft – zu lösen.
Historisch opportunistisch gegenüber Herstellern eingestellt, haben sowohl die kurzfristige politische Instabilität in den USA als auch der Broadcom-Effekt die Illusion einer langfristigen Verlässlichkeit der US-Tech-Riesen zerstört.
Das war kein Randthema, sondern prägte viele Gespräche: Der Wunsch, unabhängiger zu werden, ist spürbar und die ersten Schritte werden unternommen.
Eine neue Abkürzung habe ich auch gelernt: „Wir möchten keine Y.A.M.P.s sein.“
YAMP? Auflösung am Ende des Artikels.
III. Kundenperspektive und Erwartungen
Verlässlichkeit bleibt die zentrale Währung.
Kunden fragen verstärkt:
- Woher kommt der Anbieter?
- Wie stabil ist er?
- Welche Zukunft hat er in einer Welt voller Aufkäufe? Wird es ihn in einem Jahr noch geben? Oder wird er dann in einem anderen – vielleicht sogar US-amerikanischen – Unternehmen aufgehen wie z. B. Hornet Security oder GitHub?
Die M&A-Schwemme wird durchaus kritisch gesehen, aber viele Kunden akzeptieren, dass daraus auch stärkere, zukunftsfähigere Player entstehen können.
Das Konzept der strategischen Regionalisierung, Mix-Szenarien, wurde positiv aufgenommen:
- Deutsche/europäische Kunden → deutsche oder europäische Anbieter
- US-Kunden → Microsoft/Google/AWS
- China-Kunden → Alibaba o. ä.
Damit wurde klar: „One fits all“ ist passé, maßgeschneiderte Strategien sind die Zukunft.
IV. Kritik an der Branche
Natürlich gab es Selbstkritik:
„Die nächste Sau durchs Dorf treiben ...“ sei zum Geschäftsmodell geworden.
Doch diesmal klang das nicht nach Resignation, sondern nach Entschlossenheit, es besser zu machen.
Viele Partner betonten, dass sie Kunden künftig nicht mit Features überfrachten, sondern echte Lösungen anbieten wollen. Die 23. CoPilot-Story wird als Overselling wahrgenommen – und Overselling torpediert die Vertrauensbasis. Die Probleme der Kunden liegen nicht in der Einführung der neusten Technologie sondern in wesentlich tieferliegenden Ebenen wie z.B. mangelnde Interperabilität durch massiv überalterte Systeme.
Historisch hat Europa seine IT globalisiert, aber vergessen, sie zu europäisieren.
V. Vertrieb und Marketing im Wandel
Einigkeit herrschte:
- Klassische Kaltakquise ist tot. Kunden informieren sich selbst.
- Standard-Social Media-Marketing wie vor 4 Jahren ist tot.
Doch hier dominierte keine Ratlosigkeit, sondern Gestaltungswille:
Generische Hochglanzpostings mit Stockfotos, durch fünf Gremien abgesegnet und dann nur von zwölf eigenen Mitarbeitern geteilt, wirken nicht authentisch und erzielen im schlimmsten Fall einen gegenteiligen Effekt.
Viele sehen es als Chance, über authentische Mitarbeiter-Posts, echte Dialoge, echte Fotos Nähe zu schaffen.
Das Marketing von morgen wird persönlicher, menschlicher, liegt beim Mitarbeiter , weniger in der Bürokratie – und genau darin lag Aufbruchsstimmung.
VI. Digitale Souveränität vs. Autarkie
Die Differenzierung wurde geschärft:
- Digitale Souveränität: bewusste Wahlfreiheit durch Anbietervielfalt, Reduktion von Abhängigkeiten. Damit reden wir zu einem großen Teil über das Aufbrechen verkrusteter Strukturen durch O/M365.
- Digitale Autarkie: Eine reine Illusion.
- Datenhoheit: Datenhaltung auf Servern innerhalb Deutschlands (oder der EU) von Anbietern, die auch innerhalb der EU oder Deutschlands beheimatet sind.
- Souveräne Hyperscaler-Angebote: Einhelliger Konsens ist, dass es sich hier um Souveränitätswashing handelt – Scheinsouveränität.
Die Herausforderung:
Einige Systemhäuser und auch Kunden haben bereits aufgegeben: „Wir holen eh nie mehr auf.“ Sie wechseln ins opportunistische Lager.
Zitat: „Es wird in Zukunft wesentlich stärkere technologische Ansprüche an qualifizierte Mitarbeiter geben. M365/Azure ist wie Lego Duplo, souveräne Lösungen sind wie Fischertechnik.“
Die positive Botschaft:
Immer mehr Partner wollen bewusst neue Wege gehen und Abhängigkeiten, vor allem von Hyperscalern, allen voran Microsoft, reduzieren. Digitale Souveränität wird nicht mehr als Schlagwort verstanden, sondern als konkrete hochaktuelle Gestaltungsaufgabe.
Der technologische Vorsprung der Amerikaner ist unser Vorteil – wir können Fehler wie große monolithische Service-Architekturen vermeiden.
Die provokante Frage an den Kunden:
„Sie haben einen CDO – haben Sie auch einen Chief Sovereignty Officer?“
Bei der digitalen Souveränität greift das Spülmaschinengleichnis: 95 % laufen achtlos an der vollen Maschine vorbei – und wundern sich, warum nichts sauber wird, 5% räumen die Maschine leer und bringen die Firma voran.
VII. Digitale Souveränität – Verantwortung und Lehren aus Limux
Digitale Souveränität ist primär ein Thema der Beschaffung und wird derzeit von staatlichen Stellen vorangetrieben. Dabei spielt die Anwendung ethischer IT-Prinzipien durch den Auftraggeber eine entscheidende Rolle.
Jeder Kunde und jeder Dienstleister trägt eine eigene Verantwortung für die digitale Souveränität.
Das Scheitern des LiMux-Projekts in München war nicht primär technisch bedingt, sondern Resultat erfolgreicher Microsoft-Lobbyarbeit und des Fehlens eines zuverlässigen Betriebsdienstleisters.
VIII. Künstliche Intelligenz (KI)
Die öffentliche Verwaltung ist offener für den Einsatz von „echter“ KI.
Lokale KI-Lösungen könnten ein Weg sein, den prognostizierten Verlust von bis zu 40 % !!! der Arbeitskräfte in den nächsten zehn Jahren abzufedern.
IX. Das „Daily Business“ von IT-Systemhäusern
- Das Verhältnis von Vertrieb zu Technikern verschiebt sich von 70/30 zu 30/70.
- Reiner Lizenzvertrieb stirbt aus. Reine Reseller, die nur Lizenzen verkaufen, werden irrelevant. Sie sind austauschbar und hängen zu sehr von Herstellern wie Microsoft oder Broadcom ab.
- Unabhängigkeit als Ziel: Systemhäuser sollten sich von Herstellern emanzipieren. Das Ziel ist ein Combined Managed Service, bei dem die Leistung im Vordergrund steht, nicht das Herstellerlogo.
- Strategie & Kundenorientierung: Nur auf günstigen Einkauf zu setzen, ist zum Scheitern verurteilt. Es geht darum, den Kunden zu verstehen und seine Customer Journey zu begleiten.
- Leidenschaft als Motor: Entscheidend sind die Akteure, die für Ideen brennen. Identifizieren Sie diese Punkte bei Ihren Mitarbeitern und fördern Sie diese – sie treiben den Wandel weg von überholten Geschäftsmodellen.
X. Anbieter und Lösungen mit Perspektive
Konkrete Beispiele zeigten, dass digitale Souveränität schon heute möglich ist:
- Enginsight als deutscher Security-Anbieter
- Novastor als souveräner Backup-Anbieter
- IONOS als vertrauenswürdiger Privat-Cloud-Provider auf Weltklasseniveau
Sie wurden als Role Models gesehen – Belege dafür, dass man nicht auf Hyperscaler angewiesen ist.
XI. Microsoft und die Systemhäuser
- Unmut unter MSPs: Viele Managed Service Provider sind frustriert, weil Microsoft Telcos beim CSP-Pricing bevorzugt. Diese können bis zu 20 % unter Listenpreis verkaufen. Einige MSPs erwägen den Ausstieg aus dem CSP-Programm.
- Mangelnde Wertschätzung: Microsoft nimmt MSPs nicht ernst und betrachtet sie als irrelevant – und es gibt wenig Anzeichen, dass sich diese Haltung ändern wird.
XII. Politische Dimension
Die Unberechenbarkeit internationaler Politik wurde angesprochen, aber nicht als lähmendes Risiko, sondern als Ansporn:
- Wer seine Zukunft nur an die USA hängt, läuft Gefahr, sehr negativ überrascht zu werden. (China ist hier natürlich keine Ausnahme)
- Wer Alternativen aufbaut, macht sich resilienter.
Damit wurde die Diskussion über Souveränität auch politisch zu einem positiven Aufbruchsthema.
XIII. Ein ganz persönliches Fazit
Der Kongress war mehr als ein Spiegelbild der Branche – er war ein Stimmungswandel.
- Kritik ja, aber keine Lähmung.
- M&A als Chance, nicht nur Gefahr.
- Souveränität als gemeinsames Ziel, nicht nur Schlagwort.
- Unabhängigkeit von Big Tech als spürbare Agenda.
Was mich persönlich besonders beeindruckt hat: Zum ersten Mal seit langem wirkte die Branche nicht wie ein Zuschauer am Spielfeldrand, sondern wie ein Spieler, der aktiv in das Match einsteigt. Statt Jammern über „die Großen da drüben“ habe ich viel Mut und Motivation erlebt, eigene Wege zu gehen – auch wenn diese Wege unbequem sind.
Ja, es gibt nach wie vor die, die ihr Geschäftsmodell lieber am Tropf der Hersteller belassen und hoffen, dass der nächste Incentive-Guide zum Fiskaljahreswechsel schon alles richten wird. Auch die, die dann versuchen eine Einkaufsgemeinschaft zu gründen um den selben alten günstigeren Preis zu bekommen - und so weiter zu machen wie bisher. Rückwärtsgewandter Opportunismus wie bei den Dinosauriern.
Aber die Zahl derer, die sich bewusst lösen wollen, nimmt zu. Und genau darin liegt für mich die eigentliche Aufbruchsstimmung: Wir müssen nicht alles selber machen, aber wir müssen anfangen, wieder selbst zu entscheiden.
Digitale Souveränität heißt nicht, sich in eine autarke Nische zurückzuziehen. Sie heißt: Wahlfreiheit schaffen, Abhängigkeiten reduzieren, Verantwortung übernehmen. Für Kunden. Für Partner. Für die Gesellschaft.
Ein Appell an uns alle:
- Hören wir auf, Hyperscalern hinterherzulaufen wie Teenager ihrer ersten Rockband.
- Investieren wir in Alternativen, auch wenn sie nicht immer so „glänzen“ wie die US-Lösungen.
- Geben wir europäischen Anbietern, Open-Source-Lösungen und kleineren Spezialisten den Platz, den sie verdienen.
Denn am Ende ist die Frage nicht, ob Microsoft, AWS oder Google stark bleiben. Natürlich bleiben sie stark. Die Frage ist: Bleiben wir selbst handlungsfähig?
Für mich ist klar: Nur wer digitale Souveränität ernst nimmt – und Open Source als Werkzeug begreift, nicht als Dogma – baut eine Zukunft, die mehr ist als ein Franchise aus Redmond oder San José.
Oder wie es ein Kollege so schön sagte:
„Kaufen kann jeder, zusammenbauen aber nur die Guten.“ – und genau das ist der Lackmustest unserer Branche - darin liegt die neue Stärke der Branche: Wer zusammenbaut, baut Zukunft.
Dies ist mein ganz persönlicher Eindruck vom ChannelPartner-Kongress 2025 – keine neutrale Analyse, sondern meine Überzeugung: Digitale Souveränität und Open Source sind nicht nice-to-have, sondern die Grundlage für Unabhängigkeit, Vertrauen und langfristigen Erfolg.
👉 Und noch ein persönlicher Aufruf: Wenn ihr als Partner gerade mit denselben Themen ringt – digitale Souveränität, Abhängigkeiten von Herstellern, die Suche nach echten Alternativen – lasst uns reden. Ich freue mich über Austausch, teile meine Erfahrungen und unterstütze gern dabei, neue Wege zu gehen.
Glossar: YAMP = Yet Another Microsoft Partner 😎