Airbus, Big Tech und die Frage, ob digitale Souveränität diesmal ernst gemeint ist
Airbus wollte verhandeln und stieß an die Grenzen von Big Tech. Der Wechsel von Microsoft zu Google zeigte: Anbieterwechsel heilt nicht zwangsläufig die Abhängigkeit. Jetzt rückt Europa, FOSS und echte Wahlfreiheit in den Fokus.
Als Airbus vor einigen Jahren ankündigte, sich von Microsoft zu lösen und auf Google zu wechseln, wurde das vielerorts als mutiger Schritt gefeiert. Weg vom Platzhirsch, hin zu mehr Wettbewerb. Weniger Lock-in, mehr Verhandlungsspielraum. So zumindest die Hoffnung.
Die Realität war, wenig überraschend, wesentlich komplizierter. Technisch, organisatorisch und kulturell.
Change. Das Grauen jedes Konzerns.
Die Migration zu Google Workspace wurde lizenzrechtlich vollzogen, operativ aber nie vollständig abgeschlossen. Airbus lebt bis heute mit einer Zwei-Vendoren-Strategie. Nicht aus Unentschlossenheit, sondern weil große Organisationen nicht einfach den Stecker ziehen, ohne dass kritische Prozesse Schaden nehmen.
Das allein wäre noch keine Geschichte wert. Spannend wird es erst, wenn man fragt:
Warum wollte Airbus überhaupt weg von Microsoft?
Der eigentliche Auslöser: Macht, Preise, Alternativlosigkeit
Airbus wollte keine technische Revolution. Airbus wollte verhandeln.
Konkret: eine Preisanpassung, moderatere Vertragsbedingungen.
Die Antwort aus war sinngemäß das, was man von einem Quasi-Monopolisten (und/oder einer toxischen Beziehung) erwarten darf:
Ihr könnt gern kurz abtrünnig werden. Am Ende kommt ihr zurück. Sie kommen immer zurück. Wir werden auf Euch warten.
Das ist kein Einzelfall und keine Boshaftigkeit, sondern Marktdynamik. Wer tief integriert ist, verliert irgendwann jegliche Verhandlungsmacht. Lock-in ist kein Unfall, sondern Teil des Geschäftsmodells. Und wenn selbst ein Konzern wie Airbus merkt, dass er gegenüber einem Hyperscaler nicht mehr auf Augenhöhe agiert, dann ist das ein ziemlich klares Warnsignal. Für uns alle anderen sollte das erst recht offensichtlich sein.
Der Wechsel zu Google war deshalb weniger eine technologische Liebeserklärung (wenngleich ich persönlich die Tools von Google als wesentlich besser empfinde) als Machtdemonstration: Seht her, wir haben eine Alternative. Dass daraus kein sauberer Schnitt wurde, zeigt allerdings auch die Grenzen dieses Ansatzes. Zwei US-Hyperscaler bleiben zwei US-Hyperscaler. Wahlfreiheit sieht anders aus. Wen gäbe es denn noch? Der obligatorisch Dritte im Bunde (AWS) hat "nur" Backend-Technologie, seine Experimente hinsichtlich "Exchange"-Derivat oder Kommunikation (erinnert sich jemand an Chime?) zwischenzeitlich beerdigt. Schade eigentlich.
Jetzt also die europäische Cloud – ein neuer Anlauf
Mit der aktuellen Ankündigung (The Register, Paul Kunert), unternehmenskritische Anwendungen künftig in einer europäischen, souveränen Cloud betreiben zu wollen, betritt Airbus eine neue Eskalationsstufe. ERP, PLM, MES. Also genau die Systeme, bei denen Abhängigkeit wirklich weh tut. Das "Herz" eines Konzerns.
"I need a sovereign cloud because part of the information is extremely sensitive from a national and European perspective," Catherine Jestin, Airbus's executive vice president of digital, told The Register. "We want to ensure this information remains under European control."
Bemerkenswert ist dabei die Offenheit, mit der Airbus selbst Zweifel formuliert: Ob europäische Anbieter technologisch und organisatorisch liefern können, sei noch nicht ausgemacht. Das ist interessanterweise nicht die übliche PR-Sprech, sondern eine realistisch-kritische Bestandsaufnahme. Digitale Souveränität ist kein Wunschkonzert, sondern ein Architektur- und Marktthema.
Und Airbus steht mit dieser Frage nicht allein da.
Europa bewegt sich. Nicht ideologisch, sondern aus Erfahrung
Was wir derzeit beobachten, ist kein Airbus-Sonderfall, sondern ein Muster.
Schleswig-Holstein verabschiedet sich in der Verwaltung schrittweise von Microsoft, setzt auf Open-Source-Software und akzeptiert bewusst Reibung, um langfristig unabhängiger zu werden.
Der Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag hat schmerzhaft erfahren, dass digitale Abhängigkeiten in geopolitischen Konflikten plötzlich operativ relevant werden – und reagiert mit dem Wechsel auf europäische, offene Lösungen.
Das Österreichisches Bundesheer nutzt LibreOffice nicht aus Nostalgie, sondern aus sicherheits- und souveränitätspolitischen Gründen.
In Frankreich zeigt das Bildungsministerium, dass man mal 1,2 Millionen Nutzer samt je 100 GB Storage auf Nextcloud betreiben kann.
Ohne Skalierungsprobleme.
Ohne Hyperscaler.
Ohne Black Boxes in "der Cloud".
Ohne Closed Source.
In Zahlen noch einmal:
1.200.000 Nutzer.
120.000.000 Gigabyte Speicher.
Diese Akteure haben wenig gemeinsam. Außer der Erkenntnis, dass Abhängigkeit von US-Big-Tech kein theoretisches Risiko mehr ist, sondern ein konkreter strategischer Nachteil. Sie sind erwachsen geworden.
Warum Open Source hier der eigentliche Gamechanger ist
Die vielleicht wichtigste Entwicklung der letzten zwei Jahre ist nicht „Europa gegen USA“, sondern die (von mir lang erwartete und erhoffte) Renaissance von Open Source als strategische Option.
Dass aus dem Wechsel zu Google kein sauberer Schnitt wurde, zeigt die strukturelle Sackgasse: Wer nur den Anbieter tauscht, aber die proprietäre Logik beibehält, bleibt Gefangener. Echte Souveränität ist kein Produkt, das man kauft, sondern eine Fähigkeit, die man sich durch Architektur zurückholt.
Genau hier verschiebt sich gerade das Spielfeld. Die Lösung liegt nicht mehr in der Frage ‚Welcher Hyperscaler ist das kleinere Übel?‘, sondern in der konsequenten Abkehr von Silos.
An dieser Stelle schlägt die Stunde von Initiativen wie dem ALASCA e.V. und der Open Source Business Alliance (OSBA). Das sind keine weiteren Cloud-Anbieter, die mit bunten Dashboards lockt. Es ist ein industrieller und politischer Schulterschluss.
Während die OSBA unermüdlich die Rahmenbedingungen für digitale Souveränität auf politischer Ebene ebnet, kommen bei ALASCA Unternehmen zusammen, die verstanden haben, dass man das Rad nicht alleine neu erfinden muss, um unabhängig zu sein. Der Fokus liegt auf Operational Open Source: Es geht um offene Standards, interoperable Stacks und echte Portabilität.
Das Ziel ist ein Betriebssystem für die Cloud, das nicht an die Hardware oder das Rechenzentrum eines einzelnen Giganten gekettet ist. ALASCA adressiert damit genau das Kernproblem, an dem Airbus bei der Google-Migration fast verzweifelt wäre: Die fehlende Beherrschbarkeit der Technologie.
Open Source bietet etwas, das mehrere konkurrierende Hyperscaler nicht liefern können:
- echte Wahlfreiheit statt Vendor A, Vendor B oder Vendor C
- verhandelbare Machtverhältnisse, weil Exit technisch möglich bleibt
- Betriebsmodelle vom Eigenbetrieb bis zum europäischen Dienstleister
- Wettbewerb, der Preise, Innovation und Verantwortung erzwingt
- Vermeidung von Gewinn- und Steuerabflüssen aus unserem sozialen Ökosystem
Das ist keine Romantik. Das ist lange notwendige und vernachlässigte Markthygiene.
Ein mündiger Kunde braucht keine Heilsversprechen, sondern Optionen. Digitale Souveränität mit dem Baustein Open Source schafft genau diese Optionen. Und ja, sie sind erst einmal unbequem, manchmal sperrig, aber strukturell ehrlich.
Die entscheidende Frage: echte Souveränität oder Souveränitätswashing?
Ob Airbus diesen Weg konsequent geht, ist offen. Entscheidend wird nicht das Marketing sein, sondern die Architektur:
- Wer kontrolliert Betrieb und Zugriffe wirklich?
- Wo liegen die Schlüssel? Technisch, nicht nur vertraglich?
- Gibt es realistische Exit-Szenarien oder nur Slide-Deck-Fantasien?
- Bleiben offene Standards und Portabilität erhalten, auch wenn es unbequem wird? Und das wird es sicher das eine oder andere Mal...
Eine europäische Cloud mit US-Technologie-Kern und langfristigem Lock-in ist keine Souveränität. Sie ist ein Beruhigungsmittel. Der Novocain-Tropf mit einem Schuss Opium.
Fazit
Unsere digitale Souveränität beginnt nicht im Rechenzentrum und nicht beim Anbieterlogo. Sie beginnt dort, wo ein Kunde wieder verhandeln kann. Wo der Kunde vorgibt, wo die Reise hingeht. Technologisch wie vertraglich. Und im Zweifel gehen kann, ohne dass der Betrieb kollabiert.
Airbus hat schmerzhaft gelernt, was passiert, wenn diese Fähigkeit verloren geht und kämpft noch immer. Die aktuelle Bewegung ist deshalb kein Idealismus, sondern eine harte Konsequenz. Ob sie am Ende konsequent genug ist, wird man nicht an den vollmundigen Ankündigungen messen. Sondern daran, wie viel echte Wahlfreiheit übrig bleibt, wenn der nächste Vertrag auf dem Tisch liegt.
Alles andere wäre nur ein neues Etikett auf einer alten nur zu bekannten und bequemen Stockholm-Abhängigkeit.