EU-Einigung – sieben Jahre Atempause für Microsoft auf ein Versprechen hin

Einleitung
Am 12. September 2025 verkündete die EU-Kommission das Ende ihres Kartellverfahrens gegen Microsoft: Office soll künftig auch ohne Teams erhältlich sein – mit Rabatten, Exportfunktionen und ein wenig Interoperabilität. Doch während Brüssel sich selbst feiert, gewinnt Microsoft Zeit. Sieben Jahre, um das Teams-Imperium zu festigen. Die Frage ist: Wird sich in diesen Jahren wirklich etwas ändern – oder nur kosmetisch - wenn überhaupt?
Digitale Souveränität Europas lässt sich nicht mit Pressemeldungen sichern, sondern nur mit echten Maßnahmen.
Vorgeschichte: Lock-in und Pandemie als Beschleuniger
- Microsoft Teams wurde ab 2017 fest mit Office-365/365-Paketen verknüpft, Skype for Business wurde ersetzt – Nutzerinnen und Nutzer hatten keine echte Wahl, wenn es um Kollaborationssoftware ging.
- Während der COVID-19-Lockdowns wurde Teams nicht nur extrem populär – es wurde praktisch alternativlos in vielen Organisationen, Schulen, öffentlichen Stellen. Der Druck, mitzumachen, war riesig. Und kaum jemand konnte sich dem entziehen.
- Der Artikel „Microsoft Teams: Der vergiftete Apfel der Pandemie – Ein kritischer Blick“ legt dar, wie Teams als Geschenk gestartet wurde und sich schnell zu einen Quasi-Standard entwickelte, teils weil Alternativen nicht genug Sichtbarkeit oder Infrastruktur hatten - oder auch einfach nur miserables Marketing.
- Gleichzeitig wurden (teilweise schon vor der Pandemie) Wettbewerber wie Slack und kleinere europäische Anbieter benachteiligt, da Microsoft seine Produkt-Ökologie so designed hat, dass die Integration externer Tools gar nicht möglich ist oder wenn dann nur als Komplementärprodukt erlaubt wird.
CoPilot: Intelligenter Assistent, dummerweise ein Abhängigkeitsverstärker
Microsoft CoPilot wird zunehmend in Teams integriert und macht das Angebot attraktiver – allerdings nicht ohne Preis.
- Funktionen: In Teams kann CoPilot Konversationen zusammenfassen, offene Punkte und Entscheidungen extrahieren, Meetings transkribieren und automatisch To-Dos erstellen. Klingt extrem nützlich – und ist es fraglos auch.
- Lizenzierung & Kontrolle: Viele dieser Funktionen sind an Premium- oder Enterprise-Lizenzen gebunden. Der bequeme Zugang zu diesen „smarten“ Features macht es für Unternehmen fast unmöglich, auf Alternativen zu wechseln, ohne viel Komfort einzubüßen.
- Datenschutz und Souveränität: Je mehr Automatisierung und KI-Analyse, desto größer die Datenberge, die Microsofts Systeme über Kommunikation, Verhalten und Arbeitsmuster ansammeln. Exportierbar? Vielleicht. Offen? Wohl kaum. Auswertbar zu weiteren Trainingszwecken für Microsofts K.I.? Höchstwahrscheinlich.
CoPilot ist kein Assistent – es ist ein digitaler Abhängigkeitsverstärker. Wer einmal anfängt, sich daran zu gewöhnen, dem wird der Abschied von Microsofts Ökosystem doppelt und dreifach schwerfallen.
Die EU-Untersuchung & Einigung – Was sie sagt und was sie offen lässt
Die EU-Kommission stellte fest:
- Teams war – bzw. ist – fest mit Office gebündelt, ohne echten Preisnachlass, wenn man Teams weglassen will.
- Interoperabilität & Datenportabilität waren und sind unzureichend. Wenn nicht sogar gar nicht gegeben.
- Microsoft vereinbarte schwerpunktmäßig Commitments (Verpflichtungen bzw. Versprechungen) statt harte Sanktionen.
Die Einigung: Office-Pakete ohne Teams, Rabatte, Exportfunktionen, Interoperabilität, Überwachungsstelle. Die Dauer: mindestens sieben Jahre. Was für ein Zeitfenster. Um Dinge zu vergessen, oder so zu zementieren, dass sie dann eine neue unleugbare Realität sein werden.
Was offen bleibt:
- Wie definiert sich Interoperabilität?
- Was heißt „mit Konkurrenzprodukten sprechen“? E-Mail-Import, Chat-Brücke, Voice/Video-Protokolle?
- Wird Teams offen mit Matrix, XMPP, frei nutzbaren Standards arbeiten? Keine erkennbare Verpflichtung und auch ganz sicher nicht in Microsofts Interesse.
- Welche Datenportabilität genau?
- Export von Chats, Dateien – okay. Aber wie vollständig? Werden Metadaten (z. B. Bearbeitungshistorie, Reaktionen, Verschachtelungen), Audio/Video, automatische Übersetzungen etc. ebenfalls exportierbar/portierbar?
- Wird die Exportdatei ein offenes Format sein oder proprietär? Wie leicht kann ein Konkurrent darauf aufbauen?
- Überwachungsstelle – Kontrollieren, nicht Gestalten
- Die Überwachungsstelle darf prüfen, ob Microsoft sich an seine Commitments hält. Aber darf sie technische (offene) Standards festlegen? Nein.
- Was bedeutet Knüpfen an offene Standards, wer definiert sie? Die Beteiligten haben ein unterschiedliches Verständnis. Microsoft konnte sich seinerzeit nicht einmal dazu herablassen das seit 2006 ISO-zertifizierte offene ODF-Format zu nutzen sondern musste 2008 sein eigenes Format OOXML bauen.
- CoPilot & AI-Funktionen als neuer Kosten- und Bindungstreiber
- Automatisierte Tools erhöhen Bequemlichkeit und Effizienz, aber erzeugen auch unzweifelhafte massive Abhängigkeiten. Wenn CoPilot sehr gut funktioniert, macht der Aufwand, Alternativen aufzubauen, sich noch weniger lohnenswert. Willkommen im Honeypot.
- Wenn bestimmte Features nur mit Premium oder Zusatzlizenzen funktionieren, steigt der Druck, alles aus einer Hand zu nehmen: Microsoft.
Reaktionen der Community & Kritiker – die Skepsis bleibt
Open Source Leute loben, dass die EU überhaupt grundsätzlich aktiv geworden ist. Doch sie warnen ebenfalls: Wie schon so oft könnte dies erneut ein „Placebo-Commitment“ sein, darauf ausgelegt, den Anschein von Regulierung zu erwecken, während Microsoft weiter Markt-, Komfort- und Lock-in-Vorteile nutzt und Fakten schafft.
Gleichzeitig ist absehbar, dass ein Teil des Microsoft-Ökosystems – insbesondere jene Reseller, Distributoren, Hoster, Einkaufsgenossenschaften und Dienstleister, die sich stärker als Partner von Microsoft denn als Partner ihrer Kunden verstehen, die "Fanboys" mit dem Stockholm-Syndrom – die EU-Einigung als Beleg nutzen wird, dass „alles auf dem richtigen Weg“ sei. Vertrauen in Commitments wird so als Verkaufsargument eingesetzt, während strukturelle Abhängigkeiten und fehlende Offenheit ausgeblendet werden. "All's fair in business".
Kritiker betonen, dass öffentliches Geld und öffentliche Einrichtungen nicht so weiter agieren dürfen wie vorher: Es braucht Bindung an offene Standards, echte Interoperabilität, Transparenz. Public Money = Public Code.
Studien zu Microsoft 365 CoPilot zeigen, dass gerade bei AI-Funktionen Ethik-, Datenschutz- und Bias-Bedenken begründet hoch sind. Nicht alle Erwartungen werden erfüllt – insbesondere da, wo das Tool Kontextwissen, Rechtssicherheit und Workflow-Überblick liefern soll.
Rechtliche Aspekte – Regulierung vs. Täuschung durch Commitments
- Artikel 102 AEUV legitimiert Eingriffe gegen Machtmissbrauch. Die EU nutzt dies. Aber Commitments sind schwächer als formale Kartellbescheide mit Sanktionen und klaren Vorgaben - was ist ein Konzernversprechen wert? Meiner Meinung - unabhängig von Microsoft - gar nichts. Versprechen von Personen haben einen Wert. Allerdings halten sich die meisten Personen in Entscheiderpositionen bei Konzernen im Schnitt 3-4 Jahre. Das ist eben auch der durchschnittliche Verpflichtungshorizont eines Konzerns.
- Die siebenjährigen Verpflichtungen sind lang – in der IT sind sieben Jahre eine Ära. Man sagt nicht umsonst IT-Jahre seien wie Hundejahre. Viel kann sich ändern, Technologien veralten, Wettbewerber verschwinden oder übernommen werden. Microsoft hat damit einen langen Zeitraum, um seine dominante Position zu sichern.
- Ein rechtlicher Rahmen fehlt oft bei offenen Standards, Datenformaten etc. Ohne gesetzliche Vorgaben bleibt vieles bei Microsofts eigener proprietärer Definitionen – „Interoperabilität“ = was Microsoft bereit ist zuzulassen, nicht was nötig wäre.
Digitale Souveränität – mehr als Lippenbekenntnisse
Wenn Europa sein Versprechen von digitaler Souveränität ernst meint, dann braucht es:
- Verbindliche Standards: Nicht nur Export, sondern offene Protokolle / Formate (z. B. Matrix, ODF, offene APIs, SIP).
- Öffentliche Beschaffung, die souveräne Anbieter stärkt. Schulen, Verwaltungen, Universitäten sollten gezielt gefördert werden, optimalerweise freie Software einzusetzen. Minimal sollte man jedoch auf lokale Anbieter aus dem eigenen Land oder Europa setzen.
- Transparenz & Kontrolle über Daten, die durch CoPilot & AI entstehen: Speicherung, Zugriff, Dauer, Formate, Trainingsverbote.
- Technische Vorgaben von unabhängigen Stellen, nicht nur Kontrollen.
Fazit – Der Placebo-Effekt läuft noch volle sieben Jahre
Sieben Jahre Vertragsdauer – das ist keine Übergangsfrist, das ist ein Geschenk an Microsoft überbracht auf einem Silbertablett. Mit Schleifchen. Ein Zeitraum, in dem Infrastruktur weiter ausgebaut, schlimmer - Nutzergewohnheiten weiter geprägt und Abhängigkeit weiter verfestigt wird.
Die EU-Einigung mag in der Bilanz besser sein als gar nichts – Office ohne Teams, Datenexport: ja. Aber ohne konkrete, harte Definitionen von Interoperabilität, ohne offene Standards, ohne strikte Vorgaben für AI-Tools wie CoPilot bleibt es wie beim Pariser Klimaabkommen: ein ambitioniertes Signal nach außen, aber mit so viel Freiwilligkeit, dass am Ende mehr auf dem Papier steht als in der Realität und mindestens eine Partei lacht in sich hinein.
Wenn Europa nicht will, dass seine digitale Landschaft dauerhaft im Schatten eines US-Giganten liegt, dann muss jetzt geliefert werden: nicht nur Commitments, sondern verbindliche Regeln, durchsetzbare Standards, echte Wahlfreiheit – nicht bloß zwischen Varianten eines proprietären Ökosystems.
Die EU hat die Tür einen Spalt geöffnet – doch solange Microsoft den Schlüssel behält, bleibt Europa nur Zaungast im eigenen Haus.
Wie John Stuart Mill in ‚Über die Freiheit‘ 1859 festhielt: Freiheit stirbt nicht abrupt – sie schwindet in vielen kleinen Schritten, wenn wir sie nicht aktiv schützen.