Google zielt auf Microsoft ab: Eine Business-Continuity-Lösung – oder ein cleverer Schachzug?

Google zielt auf Microsoft ab: Eine Business-Continuity-Lösung – oder ein cleverer Schachzug?
Google geht in die Offensive

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Audio-Zusammenfassung: Google zielt auf Microsoft ab: Eine Business-Continuity-Lösung – oder ein cleverer Schachzug
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Google hat uns vorgestern alle überrascht, als sie ankündigten, ihr Workspace-Portfolio als Business-Continuity-Lösung für Microsoft-365-Kunden zu positionieren.

Zuerst dachte ich: "Klingt pragmatisch." Eine Art Backup-Plan: Wenn bei Microsoft etwas schiefläuft, wechselt man einfach zu Google. Aber beim genaueren Hinsehen wird klar: Hier geht es nicht nur um eine technische Notlösung. Es geht Google um viel mehr – um Marktanteile, um neue User, darum, endlich den Fuß in die Tür zu bekommen. Gleichzeitig geht es auf einer viel spannenderen Ebene auch um Lock-in-Kontrolle und Wahlfreiheit. Ein kleiner, aber wichtiger Schritt in Richtung digitaler Souveränität. Freedom of Choice, quasi.

Also habe ich mir angeschaut, was Google da eigentlich konkret anbietet. Welche Ausfälle und Risiken bei Microsoft aktuell sichtbar sind. Und warum ich diesen Schritt, trotz aller Kritik an Hyperscalern, für ziemlich nachvollziehbar und vor allem sehr begrüßenswert halte.


Was genau steckt hinter der Google-Ankündigung?

In den offiziellen Google-Materialien dreht sich alles um zwei große Pakete:

Business Continuity – Das Backup-Versprechen

Google sagt, Workspace könne parallel zu Microsoft 365 laufen. Die Kernelemente (E-Mail, Kalender, Chat, Meet) sollen ständig synchronisiert werden. Das Ziel? Bei einem Microsoft-Ausfall sollen Unternehmen sofort auf Gmail/Meet & Co. umschalten können, ohne lange Migrationen oder große Downtime. Die Daten bleiben "an ihrem Platz", synchronisiert im Hintergrund. Das ist die große Idee.

Technisch gesehen ist das eine Ansage. Sie werben mit einer garantierten Verfügbarkeit von 99,9 % SLA, und die bisher erreichten 99,99 % für 2025 können sich wirklich sehen lassen. Die üblichen Sicherheits- und Compliance-Aspekte (Zero Trust, Datenresidenz, Kontrolle) werden natürlich auch gebracht. Ehrlich gesagt: Hier unterscheiden sich Microsoft und Google nicht wirklich wesentlich voneinander.

Work Transformation Set – Der direkte Konkurrent

Das ist ein All-In-One-Paket, das den Google Workspace mit Generativer KI und Identity-/Gerätemanagement kombiniert. Damit stellen sie sich klar gegen die Azure AD + Office + CoPilot-Kombination. Für die meisten von uns ist das nah genug dran, um einen Wechsel ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Die Zielgruppe sind klar KMU's, die den kompletten Bruch mit Microsoft wagen wollen – also der volle Eintritt in das Google-Ökosystem. Das kann und will natürlich nicht jedes Unternehmen. Es ist vor allem spannend für kleinere Mittelständler oder Start-ups, die sich nicht in die Abhängigkeit eines lokal installierten Office-Paketes mit all den verkrusteten Prozessen begeben haben.

Wir kennen das alle: "Ich brauche mein Excel, weil es das Frontend für unseren Datacube in Paris ist!" oder der uralte Klassiker "Ohne Word gehen meine Serienbriefe nicht..." Solche über Jahrzehnte gewachsenen Abhängigkeiten sind extrem schwer zu lösen.

Das technische Versprechen

Eine dauerhafte Synchronisation zwischen zwei Plattformen. Daraus folgt -> Kein Migrationsaufwand beim Umschalten. Nutzer, Daten, Kontexte sollen erhalten bleiben, auch wenn die "nur" die zugrundeliegende Plattform wechselt. Das Marketing spricht von „Kontrolle über Datenresidenz“ und Compliance-Fähigkeiten, ganz typische Forderungen im Enterprise‑Umfeld, auf jeder CxO-Folie zu finden.

Das Marketing

Google macht keinen Hehl daraus, dass Ausfälle "nicht die Frage des Ob, sondern des Wann sind". Eine immer wahre Aussage, die natürlich auch für Google als Cloud-Anbieter gilt. Hardware kann immer kaputt gehen, Menschen skripten manchmal Fehler, KI-Dienste sogar noch öfter. Trotzdem: Die Wahrscheinlichkeit, dass beide Umgebungen - die Produktivumgebung und die Fallbackumgebung -gleichzeitig ausfallen, ist verschwindend gering.

Der nicht ganz so unterschwellige Subtext ist nicht nur "Wir haben eine Lösung", sondern vielmehr "Ihr braucht eine Lösung, weil Microsoft nicht fehlerfrei ist." Und genau darauf gehen wir jetzt ein.


Die jüngsten Probleme bei Microsoft – Futter für Google

Wenn Google genau heute argumentiert, "Du brauchst ein Fallback, weil Microsoft unzuverlässig ist", dann müssen wir uns die jüngsten, sehr medienwirksamen Ausfälle der letzten Zeit anschauen. Gerade im Oktober 2025 gab es da einige unschöne Vorkommnisse:

Microsoft 365 / Office 365:

  • 9. Oktober 2025: Ein etwa einstündiger Ausfall bei Office 365.
  • 13. Oktober: Weitere Ausfälle bei Microsoft 365, das volle Spektrum von Teams, Mail und passenderweise dem Admin-Portal. Die armen Cloud-Admins! Hier konnte man nicht einfach frei nach der "IT-Crowd" aus- und wieder einschalten. Und das war nur die Spitze des Eisbergs; MFA-Probleme, Login-Störungen und Exchange-Verzögerungen zogen sich durch den ganzen Monat.

Azure / Azure AD / Entra ID:

  • Anfang Oktober 2025 knarzte die Azure Front Door – globale Zugriffsprobleme.
  • Schon lange davor, im Juli, fiel eine ganze Azure Region (Central US) wegen einer fehlerhaften Netzwerkregel aus. Eine peinliche Pleite.
  • Im September ging die Pechsträhne weiter: Eine Entra ID-Sicherheitslücke, bei der potenziell globaler Adminzugriff möglich war. Dies wurde wohl auch ausgenutzt, aber Microsoft hat natürlich keine Zahlen über Eindringlinge oder Datenlecks kommuniziert.
  • Und natürlich erinnern wir uns alle noch an das berühmte CrowdStrike-Problem, das massive Disruptionen in Microsofts Azure RZs verursachte.
  • Zu guter Letzt noch die Probleme der Welt, ein Unterseekabel‑Schaden im Roten Meer führte im September zu erhöhten Latenzen über die Regionen hinweg.

Die Häufung solcher Zwischenfälle stärkt Googles Argumentation immens: "Selbst Big Player sind nicht immun gegen Ausfälle. Daher braucht man einen Fallback." Sie argumentieren mit Resilienz, Wahlfreiheit und Vendor-Lock-in. Sie sagen nicht, dass ihnen das nicht selbst passieren könnte. Die derzeit gehäuften technischen Probleme bei Microsoft, einiges Ungeschick im Umgang mit der europäischen Souveränitätsdebatte und wahrscheinlich auch nur ein paar dumme Zufälle und Pech bei Microsoft sind für Google ein gefundenes Fressen.

Auch dem absoluten Air Gap, welches Google der Bundeswehr anbot um den Bundeswehr-Deal zu gewinnen konnte und wollte Microsoft nichts entgegensetzen.
So ungeschickt (weil in Schockstarre) Google in der Corona-Krise agierte, so geschickt piksen sie jetzt gegen Microsoft.


Meine Perspektive: Warum dieser Schritt richtig aufregend ist

Ganz nüchtern betrachtet will Google natürlich nur eines: Marktanteile, sprich User Seats gewinnen. Ein direkter Wechsel ist schwer, Firmen haben in den letzten Jahren Unsummen in Microsoft 365 und Azure investiert. Aus dieser Umklammerung auszubrechen ist teuer. Eine Preiserhöhung nach der anderen geschluckt, immer auf der argumentativen Basis, dass die ganzen neuen Features (die man vielleicht gar nicht braucht/will - wie beim Broadcom-Dilemma) das ja rechtfertigen. Da rauszukommen ist schwer. Change ist meist teurer als eine durchschnittliche Kostenersparnis bei Lizenzen.

Statt den großen Sprung bietet Google nun einen kleinen, risikolosen Schritt: "Wir sind euer Backup, eure Versicherung."

Der Fallback wird zur Tür, durch die Microsoft-Kunden ganz bequem in das Google-Universum kommen. Und das ist neben dem Geschäftlichen auch technologisch sexy. Wer sich einmal die Google Tools wie Gemini Pro, Nano Banana, den neuesten Bildgenerator, Veo für Videogeneration und die Integration dieser Dienste in den Google Kosmos angeschaut hat, ist von der technologischen Schlagkraft einfach begeistert.

Tipp 1: Schaut euch einmal Notebook LM an! Die Audio-Zusammenfassung oben ist ein durch NotebookLM automatisch generierter Podcast. Jürgen, danke dass Du mich hier auf dem Kiwiko-Event drauf gestupst hast!

Tipp 2: Schaut euch gleich noch einmal einmal NotebookLM an! Hier ein durch NotebookLM automatisch generierte Übersichtsvideo zu diesem Artikel.

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NoteBookLM's Video

Wahlfreiheit und Vendor-Lock-in

Ich persönlich finde: Digitale Souveränität lässt sich scheibchenweise erreichen, und der erste Schritt beginnt mit Wahlfreiheit.

Auch wenn diese "nur" von einem weiteren Hyperscaler kommt. Google bietet hier ein Werkzeug, das den monopolistischen Lock-in-Charakter von Microsoft zumindest teilweise aufbricht.

Dass Google selbst nicht perfekt ist, steht außer Frage. Auch Google Chef Sundar Pichai hat den selben Kotau vor Donald Trump gemacht wie Satya Nadella. Aber im Verhältnis zur bisherigen (selbst herbeigeführten) Alternativlosigkeit vieler Microsoft-Kunden ist das ein Fortschritt.

Der unerwartete Dritte: Die Schwarz IT-Kooperation

Im November 2024 kam dann der Paukenschlag: Die Schwarz-Gruppe (über ihre IT-Sparte STACKIT) kündigte eine strategische Partnerschaft mit Google an.

STACKIT soll künftig Teile von Google Workspace in eigenen, europäischen Rechenzentren betreiben. Und das unter europäischem Datenschutzrecht und mit Client-Side-Encryption ("Bring Your Own Key"). Dazu gab es schon richtiggehend mitreißende Vorträge auf der Smart Country Convention 25 in Berlin. Das ist ein Joker!

Damit entsteht faktisch eine dritte Plattformoption:

  1. Microsoft 365: Der Klassiker. Geschlossenes Ökosystem, Black Box in Technologie und Ort, der Urenkel von DOS und Exchange. Schick.
  2. Google Workspace: Der erwachsene Enkel von Google Mail. Meiner (Meinung nach) Schicker, KI-integriert, aber immer noch eine Black Box mit intransparenten Standorten. Aber eine Alternative.
  3. Google Workspace @ Schwarz IT (souverän): Gehostet in deutschen Rechenzentren, mit Kontrolle über Schlüssel und Daten.

Damit hat sich hier das leidige Thema Cloud Act erledigt. Das hat das Potenzial für eine bedeutende Verschiebung der Machtverhältnisse. Ziel der Kooperation ist eine Datenhaltung ausschließlich in der EU, betrieben von einem deutschen Cloud-Provider, der aufgrund seiner eigenen DNA aus dem Bereich der kritischen Infrastruktur kommt? Großartig und derzeit recht einmalig.

Offen bleibt bisher, wie stark die Instanzen von Googles globalen Cloud‑Backends getrennt sind. Die beiden Player kommunizieren, dass es keine aktive Kommunikation mit den US‑Rechenzentren geben soll. Wie immer stellt sich aber die Frage nach Updates, Security‑Patches und API‑Synchronisationen. Wird das Google machen? Schwarz? Und wenn ja, wie transparent ist der Inhalt der Patches? Operativ bleiben die Daten jedoch lokal bei Schwarz.

Damit ergibt sich ein neues, interessantes Kräfteverhältnis:
Google ermöglicht nicht nur den Fallback aus dem Microsoft‑Universum, sondern bietet endlich durch die Kooperation mit Schwarz IT eine europäische Alternative im eigenen lokalen Ökosystem.

Das bringt mich zur Frage: Wie oft schaut sich zukünftig ein CIO/CTO einen Fallback an, bevor er sich entscheidet, gar nicht mehr zurückzugehen? So oder so ähnlich geht sicher der eine oder andere nicht ganz abwegige hoffnungsvolle Gedankengang bei Google-Managern.

Plötzlich bricht ein Vendor-Lock-in gleich doppelt auf: weg von Microsoft, und zugleich hin zu einer dezentralisierten Google-Variante, die unter lokaler Kontrolle steht. Das ist genial.


Die Tücken in der Realität

Natürlich ist das nicht ohne Herausforderungen.

Synchronisierung:

Zwei Systeme parallel zu betreiben bedeutet, Daten müssen bidirektional konsistent bleiben. Konflikte bei gleichzeitigen Änderungen sind fast unvermeidlich. Das ist allerdings selbst heute nicht bei singulären und eigentlich ausentwickelten "maturen" Plattformen gelöst. Wir selber haben Kollegen, die jeden Tag mit Synchronisierungsproblemen in SharePoint kämpfen. Latenzen, Inkonsistenzen und Versionskonflikte werden wie heute auch kommen und für Frust sorgen. Das ist aber kein Beinbruch, solange es nur um einen Fallback geht und die Arbeitsfähigkeit gewahrt bleibt.

Betriebskosten & Komplexität:

Logisch, es bedeutet doppelten Aufwand für Lizenzen, Support und Monitoring. Das Pricing wird spannend! Aber vielleicht lohnt es sich für den einen oder anderen Kunden, von einer sehr teuren M365 E5 Suite + CoPilot-Addon auf ein M365 E3 Paket + Google Fallback zu wechseln, in dem Gemini bereits inkludiert ist. Nicht zu vergessen der Aufwand für Schulungen. Die meisten Mitarbeiter außerhalb der IT-Bubble sind total Tool-agnostisch, es muss nur laufen. Aber ein Fallback, geliefert von Anbietern wie einer Schwarz IT, die das Thema kritische Infrastruktur in ihrer eigenen DNA haben? Hier hat jemand bereits intern Routine und kann daraus richtig attraktive Angebote für Dritte bauen und die Komplexität für den Kunden reduzieren.

Compliance & Datenschutz

Auch hier ein doppelter Aufwand, allerdings einmalig in der Implementierung. Die Stichworte Datenresidenz mit EU‑Regionen, Zugriff, Zero Trust gelten gleichermaßen, auch wenn Google uns dies per Design etwas einfacher macht. Zertifizierungen wie die allgegenwärtige ISO, Tisaxe & Co und viele andere Nachweise sind entscheidend für Akzeptanz in regulierten Branchen.

Marketing vs. Realität:

Powerpoints sind geduldig. Und meist lügen sie. Zumindest sagen sie nicht die ganze Wahrheit. "Kein Migrationsaufwand" ist in erster Linie eine Marketing-Aussage. Die ersten Pilotprojekte werden zeigen, wie belastbar das Konzept wirklich ist.

Microsofts Reaktion:

Werden sie Lizenzen anpassen? Einem Preisdruck nachgeben? Technische Hürden einbauen? Oder vielleicht selbst eine Fallback-Strategie aufbauen? Hoffentlich nicht wieder eine schlechte Impro-Lösung, wie seinerzeit das Syndication-Modell mit der Telekom! Wir sehen wie immer - Konkurrenz belebt das Geschäft.

Und bei den YAMPs in den sozialen Medien herrscht natürlich bereits die übliche Polemik.


Mein Schlusswort: Ein Hoch auf die Wahlfreiheit

Für mich ist das Entscheidende: Wahlfreiheit. Ein weiterer Spieler (mit Schwarz sogar zwei) betritt das Spielfeld.

Microsoft hat über Jahre hinweg ein dichtes Netz aus Lizenzen, durchaus meist guter Technologie, Integrationen und technischen und lizenzrechtlichen) Abhängigkeiten gesponnen. Mit Google bietet jetzt jemand erstmals eine Hyperscaler-basierende ernsthafte Möglichkeit, diese Umklammerung zumindest teilweise aufzubrechen.

Klar, es ist ein hart kalkuliertes Geschäftsmodell, kein Idealismus, keine Ideologie und erst recht kein Altruismus. Aber es ist ein Geschäftsmodell, das paradoxerweise dazu beiträgt, dass digitale Souveränität in Organisationen wieder ein kleines Stückchen greifbarer wird.

Und genau deshalb – für die Wahlfreiheit und den Wettbewerb – wünsche ich Google und speziell der Schwarz Gruppe von ganzem Herzen viel Erfolg hierbei.

Der Wettbewerber meines Lock-ins ist mein bester Freund!Und genau aus drei Gründen

  • Google als einer der weltweit größten Unterstützer für Open Source
  • der gerade durch Google befeuerten Wahlfreiheit im Wettbewerb
  • Googles Gründermotto "Don't be evil" und "Do the right thing"

wünsche ich Google und speziell der Schwarz Gruppe von ganzem Herzen viel Erfolg hierbei.

Der Wettbewerber meines Lock‑ins ist mein guter Freund.

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