Mia san Microsoft: Wie Bayern den Deutschland-Stack blockiert. Und sich selbst schadet.
Bayern blockiert als einziges Bundesland den Deutschland-Stack und riskiert damit, digitale Souveränität zu verspielen. Während 15 Länder auf offene Standards setzen, klammert sich Bayern an überholte Muster und irrt in ein digitales Biedermeier.
15 von 16 Bundesländern sind bereit, auf den „Deutschland-Stack“ (eine moderne, offene, modular aufgebaute IT-Plattform für die Verwaltung) zu setzen.
Nur Bayern stellt sich quer. In der jüngsten Digitalministerkonferenz verweigerte der Freistaat als einziges Land die Zustimmung zu einem gemeinsamen Beschluss: Man wolle „keine sprichwörtliche Katze im Sack kaufen“, so ein Sprecher von Digitalminister Fabian Mehring laut heise.de. Während also alle anderen Länder auf die vom Bund initiierte Plattform einschwenken würden, fährt Bayern einen Sonderweg, der zunehmend nach „Mia san Microsoft“ aussieht. Getrieben von Konzernlobbyismus statt digitaler Souveränität.
„Mia san Microsoft“
Wer soll es ihnen auch verdenken. Microsoft Deutschland war schon immer Bayern. Auch wenn es erst Unterschleißheim war und als Zuckerl für den Limux-Deal unter anderem das Microsoft Headquarter Deutschland nach München umzog. So etwas ist für den Lokalpolitiker unheimlich prestigeträchtig. Und - auf der ganz kleinen lokalen Ebene - generiert es den Zuzug von einigen hochqualifizierten Spezialisten. Einkommensteuer. Denn Steuern zahlt die Microsoft Deutschland GmbH ja so gut wie keine. Die relevanten Rahmenverträge laufen alle über die Zentrale in Dublin. Ganz zu schweigen von den Partnerunternehmen die im Kielwasser des Supertankers hinterherschwimmen.
Als Wahl-Bayer seit 1988 (und weiss Gott, ich liebe dieses Bundesland!) finde ich diese Haltung mehr als nur bedauerlich. Sie erinnert an das typische „Mir san mir“-Denken (wir Bayern sind anders, wir wissen es besser, wir sind nicht Deutschland, wir können alleine auf der internationalen Bühne mitspielen), doch die Realität hinter der Blockade dürften eher die Einflüsterungen der großen Tech-Konzerne sein, deren Deutschland-Zentralen (was für ein Zufall!) fast alle in Bayern liegen.
Vom Flickenteppich zur Plattform: Was der Deutschland-Stack will
Die Idee hinter dem Deutschland-Stack folgt dem Government-as-a-Platform-Prinzip. Bislang gleicht die deutsche Verwaltungs-IT einem föderalen Flickenteppich aus Insellösungen. Jedes Bundesland, teils jede Kommune, kocht ihr eigenes IT-Süppchen. Das Ergebnis: fragmentierte kommunale Rechenzentren, immense Kosten, redundante Entwicklungen, Prozessbrüche mit Zwischenschritten auf Papier (Ich drucke das mal aus und scanne das dann wieder... das inoffizielle Leitbild der deutschen Digitalisierung), viel fehlende Interoperabilität.
Der Deutschland-Stack soll das ändern. Er definiert zentrale Basisdienste wie digitale Identität, Bezahlfunktion oder digitale Zustellung, die als öffentliche Infrastruktur allen Verwaltungsverfahren zur Verfügung stehen (werden/sollen). Fachverfahren (wir alle kennen den einen oder anderen Marathon z.B. bei der Kfz-Zulassung oder beim Melderegister) können dann modular auf dieser gemeinsamen Plattform aufsetzen, anstatt jedes Mal von Grund auf neu gebaut zu werden.
Das Besondere: Der Stack setzt konsequent auf Open-Source-Software und offene Standards. Hier macht man sich die eigentlich nicht wirklich neue, schon lange geforderte Maxime „Public Money, Public Code“ endlich zu Eigen. Quelltexte, die mit Steuergeld entwickelt werden, sollen der Allgemeinheit frei verfügbar sein und von jedermann nachgenutzt, adaptiert und angepasst werden können. So entsteht ein Ökosystem, in dem Bundesländer und Kommunen nicht länger Lizenzgebühren an proprietäre geschlossene Hersteller zahlen, sondern gemeinsam an weiterverwendbaren Lösungen arbeiten. Die Umsetzung und die gesamte Wertschöpfungskette verbleibt dann bei lokalen Dienstleistern vor Ort. Das generiert neue Arbeitsplätze bei uns, sichert Steuereinnahmen und damit auch unseren Wohlstand im Gegensatz zum Finanzabfluss beim reinen Verbrauch von BigTech-Cloud-Diensten.
Mit opencode.de existiert bereits ein zentrales Code-Repository des Bundes, auf dem die Module des Deutschland-Stacks frei für jeden nutzbar veröffentlicht würden. Ganz im Sinne von „Viele Augen“ für mehr Sicherheit und Qualität sowie Nachnutzung erfolgreicher Projekte.
Bayerns Alleingang: „Keine Katze im Sack“ im IT-Planungsrat
Auf dem Papier bekennt sich auch Bayern zu diesen Zielen, doch wenn es ernst wird, zieht man die Handbremse. In der 44. Sitzung des IT-Planungsrats (also der Digitalministerkonferenz der Länder) sollte die Finanzierung und Governance des Deutschland-Stacks auf den Weg gebracht werden. 15 Länder stimmten zu, nur Bayern stimmte dagegen.
"Weil alle dafür sind sind wir dagegen...". Das ist ein bemerkenswertes und bedauernswertes Maß an Isolation, zumal selbst andere konservativ regierte Länder wie Hessen oder Nordrhein-Westfalen kein Veto einlegten.
Bayerns offizieller Grund für die Blockade: Man unterstütze gerne die Erarbeitung des Stacks, wolle aber erst „inhaltliche Fragen klären“, bevor man einer verpflichtenden Nutzung und Finanzierung zustimme. Sinngemäß: Der Freistaat kaufe nicht die Katze im Sack. Lieber kauft man offenbar die goldene Gans aus Redmond, auch wenn die nur teure Eier legt und ständig nach Hause telefoniert.
Dieses vorsichtig klingende Argument wirkt vorgeschoben. Zwar ist unstrittig, dass die exakte Ausgestaltung des Stack-Kernsystems noch definiert wird. Das Bundesdigitalministerium hatte bis Ende November eine Konsultation laufen. Doch gerade deshalb sollte Bayern doch als extrem stark technologielastiges Bundesland ja an der Konzeption mitwirken. Alle anderen Länder sehen in der zentralen Finanzierung und Steuerung durch den Bund vielmehr die Chance auf deutlich schnelleres Vorankommen. „Die große Beschleunigung entsteht dadurch, dass die Entscheidung allein bei demjenigen liegt, der bezahlt“, brachte es der Bremer Staatsrat Martin Hagen auf den Punkt.
Mit anderen Worten: Wenn der Bund zahlt, darf er auch den Takt vorgeben. Das finden 15 Länder akzeptabel, der bayerischen Landesregierung sträuben sich jedoch die Nackenhaare.
Lobbyismus statt Souveränität: Mia san Microsoft?
Ein naheliegender Verdacht: Bayern schützt mit seiner Blockade weniger die Steuerzahler vor einem „Blindkauf“, sondern vielmehr die Geschäftsmodelle großer IT-Konzerne vor unliebsamer Konkurrenz. Lobbyarbeit der Tech-Giganten hat hier über die Jahre hinweg ganze Arbeit geleistet. Man hat ein "Mindset" geschaffen, einen gedanklichen und technischen Käfig der Abhängigkeiten.
Während der Bund und fast alle Länder mit dem offenen Deutschland-Stack Vendor Lock-in und Abhängigkeiten reduzieren wollen, pflegt Bayern demonstrativ die Nähe zu Microsoft, Broadcom, Alibaba & Co.
Bayerns Digitalminister Fabian Mehring (von den Freien Wählern) lässt kaum eine Gelegenheit aus, die Ansiedlung US-amerikanischer Tech-Firmen im Freistaat als Beleg für Bayerns digitalen Spitzenrang zu feiern. Gerade erst im November eröffnete Google in München seinen ersten europäischen Sovereign Cloud Hub. Eine Cloud-Infrastruktur, die als „souverän“ vermarktet wird, weil die Daten in Deutschland liegen.
Mehring jubelt. Dieser Hub sei ein „weiterer Beleg dafür, dass Bayern im globalen Wettbewerb um die digitalen Zukunftsindustrien ganz vorne mitspielt“. Er verwies stolz darauf, dass sich ein Tech-Riese nach dem anderen in Bayern niederlässt. Von Microsoft über Apple und Amazon bis OpenAI und TikTok. „Unsere Hightech Agenda wirkt. Nirgends sonst verbinden sich digitale Exzellenz, wirtschaftliche Stärke und Lebensqualität so überzeugend wie bei uns“, so Mehring.
Mit Verlaub: Diese Aussage könnte man als unfreiwillig komisch bezeichnen. Bayern stilisiert sich zum „digitalen Herz Europas“, weil alle großen US-Konzerne hier investieren. Und verkauft das ernsthaft als Souveränität??? Nicht unsere sondern deren Agenda wirkt ...
Kritiker haben dafür bereits einen treffenden Namen gefunden: „Mia san Microsoft“.
Dataport vs. AKDB: Verpasste Chancen im Vergleich Nord gegen Süd
Blickt man auf die Praxis, zeigt sich am Vergleich zweier großer IT-Dienstleister exemplarisch, wie unterschiedlich die Haltung zur digitalen Souveränität ausfällt:
Dataport im Norden, AKDB in Bayern.
Dataport. Zuständig u.a. für Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Sachsen-Anhalt. Hier hat man sich frühzeitig als einer der erfolgreichsten Pioniere für Open Source und Souveränität positioniert. Dataport treibt den Sovereign Cloud Stack (SCS) mit voran und hat eigenentwickelte Open-Source-Lösungen im Portfolio. Beispiele sind OpenTalk oder die dPhoenixSuite, aus der inzwischen in Bund-Regie „openDesk“ wurde. Die letzte Erfolgsstory ist die just abgeschlossene Migration von 30.000 Mitarbeitern (eMail, Kalender, Kontakte, Dateimanagement, Chat/Videokonferenz).
Ziel: die Abhängigkeit von nicht europäischen closed source Hyperscalern Schritt für Schritt abbauen.
Der Lohn: In Fachkreisen gilt Dataport heute als der Kompetenzträger für souveräne IT im großen Maßstab. Während Dataport zum Wegbereiter neuer Open-Source-Lösungen wird, droht die AKDB zum reinen Lizenzverwalter für Microsoft & Co. zu verkommen.
Die Folgen sind gravierend: Bayern importiert digitale Lösungen. Andere Regionen exportieren sie und damit droht das Verkommen zu einer digitalen Kolonie.
Open Source als Schlüssel: Keine Souveränität ohne offenen Code
Es sei klipp und klar gesagt: Ohne Open Source gibt es keine echte digitale Souveränität. Alles andere bleibt eine geliehene Illusion der Freiheit. Nur wo der Code offenliegt, kann der Staat Sicherheitslücken auditieren, Einfluss auf Weiterentwicklungen nehmen und im Notfall den Anbieter wechseln. Kauft man proprietäre geschlossene Black-Box-Software, mietet man seine Souveränität bloß. Und der Vermieter kann jederzeit kündigen, die Preise erhöhen (Habe ich schon gesagt, dass Microsoft für alle relevaten Cloud-Produkte eine Preiserhöhung für den Juli 26 angekündigt hat?) oder die Bedingungen diktieren. Wie wir es beim internationalen Gerichtshof gesehen haben.
Dabei ist es fast schon ironisch: Für den Rest Deutschlands wirkt Open Source, hier personifiziert im kleinen, freundlichen Linux-Pinguin, wie ein Zeichen von Offenheit und Innovationsfreude. In Bayern hingegen scheint derselbe Pinguin zu einem ausgewachsenen Problembären mutiert zu sein, vor dem man sich schützen müsse. Als würde offene Software die heile Microsoft-Welt bedrohen. (Wusstet ihr eigentlich, dass 2/3 der Azure Fabric-Strukur auf Open Source basieren?)
Vielleicht sollte man Bruno, ähm, Tux meine ich, den Pinguin einfach mal mit einem Weißbier besänftigen, statt gleich die Flinte ins Korn zu werfen.
Die OSB Alliance hat in ihrer Stellungnahme zum Deutschland-Stack unmissverständlich gefordert, dass offene Standards, Schnittstellen und Open Source verbindlich vorgegeben werden müssen. Andernfalls laufe man Gefahr, dass der Stack zu einem „zahnlosen Tiger“ wird, der am Ende doch wieder proprietäre Lösungen durchwinkt.
Positiv ist: Der Bund und viele Länder haben den Schuss gehört. Projekte wie ZenDiS (Zentrum für Digitale Souveränität) wurden gegründet, um Verwaltungen bei offenen Alternativen zu unterstützen.
Finanzierung und Governance: Angst vor Kontrollverlust
Ein bayerisches Argument gegen den Deutschland-Stack lautet, die Finanzierung sei undurchsichtig und man wisse nicht, welche Kosten auf das Land zukommen. Geplant ist ein Mischmodell: 50% der Entwicklungskosten soll der Bund tragen, 50% sollen über Nutzerentgelte im sogenannten FIT-Store erbracht werden.
Sicher birgt dieses Modell noch Fragen und Risiken. Wie sollte es auch nicht, es ist ein erster Draft. Doch die Alternative, nämlich dass weiterhin jedes Bundesland alles alleine entwickelt, ist garantiert um ein Vielfaches teurer.
Bayern malt hier also eine unbekannte „Kostenkatze im Sack“ an die Wand, während es den Elefanten im Raum ignoriert: die horrenden Doppel- und Dreifachkosten der heutigen Parallelstrukturen.
Auch bei der Governance zeigt sich Bayerns historisch tief sitzende Furcht, Kontrolle abzugeben. Im föderalen IT-Planungsrat gilt derzeit das Einstimmigkeitsprinzip. Eigentlich eine tolle Sache, aber eben ein Konstrukt, das große gemeinsame Sprünge nahezu unmöglich macht. Denn ein einziges Land kann eine nationale Digitalstrategie blockieren, obwohl alle anderen dafür sind. Schade, wenn man hier aus lokalpolitischen Gründen Chancen für den ganzen Bund verbaut.
Fazit: Bayerns Sonderweg führt in die Sackgasse
Die Analyse lässt kaum Zweifel: Der Deutschland-Stack ist technisch sinnvoll, strategisch notwendig, europäisch gewollt und für unser aller Zukunft unverzichtbar. Nur Bayern stemmt sich, allein & isoliert, dagegen. Was als „Pragmatismus“ verkauft wird, wirkt zunehmend wie industriegetriebene Rückwärtsgewandtheit.
Das Ganze wirkt zunehmend wie ein weiß-blaues Digital-Biedermeier: Man sitzt gemütlich in der Microsoft-Stube, trinkt Sicherheitsgefühl wie warmen Tee und lässt draußen die unbequeme, freie Welt der offenen Software stehen. Wahrscheinlich aus Angst, sie könnte ja funktionieren.
Echter Fortschritt braucht den Mut, den warmen Kokon der alten Welt obsoleter Modelle zu verlassen und endlich der Realität ins Auge zu sehen. Auch wenn diese Realität in Form eines kleinen freundlichen schwarzen Pinguins daherkommt, der aus der Sicht mancher Vertreter der alten Welt zu dem besagten Problembären für sie und ihre Gescäftsmodelle mutiert.
Unterm Strich wird der Deutschland-Stack kommen. Notfalls ohne den Freistaat Bayern statt durch ihn. Noch ist es nicht zu spät für Bayern, auf den fahrenden Zug der digitalen Souveränität aufzuspringen. Eine Einladung an die AKDB sei hier ausdrücklich ausgesprochen:
Schließt Euch den Vorreitern an! Es tut auch gar nicht weh. Versprochen.